Samstag, 18. April 2020

# 31 - "Cadillac'" - Jutta Weinhold (1974)

Nach den ganzen lieblichen Songs der gestrigen Tage (aka "Balsam für die Seele" mit "Glanz und Gloria"), gibt es heute mal etwas Rockigeres auf die Ohren.
Die 70er-Jahre waren ja beliebt und bekannt für die unterschiedlichsten musikalischen Genres. Eine Vertreterin des deutschsprachigen Rocks wird heute vorgestellt. Sie ist auch ein deutlicher Gegenbeweis dafür, dass man mit einem Namen wie Jutta Weinhold auch international für Furore sorgen kann ;) - und so spießig wie der Name klingt, ist die gute Jutta auf keinen Fall!




JUTTA WEINHOLD
A: Cadillac (M: Sam L. Goldfield = Michael Holm & Rainer Pietsch / T: Michael Holm)
B: Ticket nach Memphis (M: Rainer Pietsch / T: Michael Holm) 

1974, Ariola 13 259 AT
produziert von Michael Holm

Die Zeit der Rock-Ladies bricht an. Rau und draufgängerisch rasen die Pop-Amazonen über die Bühnen und verunsichern männliche Kollegen und Zuhörer. In das harte Rock-Geschäft schlägt eine noch nicht dagewesene Emanzipationswelle ein. "Cadillac" ist die zweite Single des rassigen Münchener Super-Girls Jutta Weinhold, ehemals "Sheila""-Darstellerin im Rock-Musical "Hair". In diesen Aufnahmen verbirgt sich die perfekte Schockwirkung einer dreist-kratzigen, provokativen Stimme. Jutta Weinhold gilt als der vielversprechendste Tipp für das deutsche Rock-Jahr 1974.
So schrieb zumindest die Plattenfirma auf der Rückseite des Single-Covers. Klingt ein bisschen selbstgefällig und leicht belächelnd. So nach dem Motto "Naja, wenn die Frauen das wollen, dann sollen sie es halt machen" - und jede Frau, die auf eine eigene Meinung besteht und sich nicht von Männern Dinge vorschreiben will, wird automatisch zur Emanze gekrönt.


Jutta Weinhold wurde 1947 in Mainz geboren. Nach ersten Erfahrungen in Amateurbands folgten zwischen 1969 und 1972 Engagements in den deutschsprachigen Uraufführungen der Muscials "Hair" (Hauptrolle Sheila), "Jesus Christ Superstar" und "Godspell". 1973 bekommt sie einen Plattenvertrag und covert Suzi Quatros Hit "48 Crash" in deutscher Sprache ("Feuer und Eis").
Weinhold gilt als eine der bekanntesten deutschen Rocksängerin, sie sang u. a. bei "Amon Düül II" und Udo Lindenberg. Mit ihrer 1985 ins Leben gerufenen Band Zed Yago gilt sie als Mitbegründerin des Dramatic-Metal-Genres.
Jutta Weinhold tritt seit 2012 wieder regelmäßig mit ihrer Band (Kollegen aus verschiedenen früheren Formationen) auf - Metal, Rock, Soul und Blues zählen nach wie vor zu ihren Stärken.


Der Song, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist tatsächlich etwas unbequemer als viele andere Lieder dieser Zeit. Besungen wird nämlich der Alltag aus Sicht eines Stalkingopfers. Eine durchaus ungewöhnliche Thematik für die damalige Zeit. 

Vor meinem Haus, das halt' ich nicht aus,
Steht er bei Tag und bei Nacht
Wo er mich sieht, da hupt er ganz wild
Und überall fährt er mir nach

Vor meiner Tür liegen Blumen, ich schau' nicht hinaus
"Baby, ich will immer nur bei dir sein"
Er läuft mir nach, wenn ich auch wie ein Eisberg bin
"Baby, steig' ein, ich bin so allein"
Ich sage "Nein" Goodbye Goodbye

Cadillac, fahr' weg
"Heut' nacht bin ich frei - Na, wie wär's mit uns zwei?"
Oh no Cadillac fahr' weg
"Wir beide ein Paar, das wär wunderbar"

--> Der Song ist in der Hinsicht speziell, dass sich erstmals in einem deutschen Song eine Frau von den Avancen eines Mannes nicht geschmeichelt, sondern bedrängt fühlt. Doch so liebevoll, wie der Mann seine Anliegen untermauert, sind sie vermutlich nicht. Der Besitz des Objekts seiner Begierde wird angestrebt. Das männliche Ego ist angekratzt, weil es verschmäht wurde. Jetzt soll sie spüren, wer die Hosen anhat und was passiert, wenn sie nicht gehorcht.


Die zweite Strophe wird etwas präziser.
"Sonntags um acht werde ich wach" und er steht wieder vor der Tür und lacht.
"Und mir wird übel bei Nacht"


Ich setz mich auf mein Fahrrad und radle fort

"Baby nicht den Feldweg, der ist so schmal"
Doch komm ich mittags heim, ja, wer wartet dann?
"Küss mich, dann verzeih' ich dir noch einmal"
Ich sage nein, Goodbye, Goodbye


--> Ist der einzige Ratschlag, der in diesem Song gegeben wird, neben nicht aus dem Fenster zu sehen, den Rest ihres Lebens den schmalen Feldweg zu nehmen, weil ihr der fette Cadillac dort nicht folgen kann? Oder wartet der Typ dort das nächste Mal - ohne Cadillac - im fahlen Abendlicht auf sein "Opfer"?


Ich gehe in mich und frage mich, was mich an diesem Song stört. Liegt es daran, dass der Textautor ein Mann ist? Dass die ganze Thematik, das Leid der jungen Frau, verharmlost wird? Er ist ihr doch nur ein bisschen nachgefahren, wollte sie sehen, ihr nah sein, sie überraschen. Was ist denn da dabei? - Sehr viel ist dabei. Vor allem dann, wenn die andere Person das partout nicht möchte. Und so wie die gute Jutta in dem Song auftritt, hat sie es ihm bestimmt bereits mehr als einmal klipp und klar mitgeteilt. "Ich sage nein-nein-nein-nein-oh-nein" - ein ganz wichtiger Punkt! Doch kann Jutta mit dem Lied anderen Frauen Mut machen - außer dem lapidaren "Nein"-sagen? Das Lied lässt mich ein wenig ratlos zurück. War dieses mutige Unterfangen am Ende ein wenig zu halbherzig verfolgt?
Wahrscheinlich stört mich am meisten, dass es keine Auflösung gibt. Keine Strophe darüber, dass die Polizei kam und ihm verbot sich ihr zu nähern. Kein "Happy End". Aber das ist vielleicht auch gut so, weil es dieses "Happy End" für viele Frauen im echten Leben auch nicht gibt. Weil ihnen nicht geglaubt wird. Weil andere Männer sagen, dass sie sich nicht so anstellen sollen.
In manchen Momenten schämt man sich für das, was andere Männer Frauen antun können. Und man hofft darauf, dass es irgendwann besser wird. Das Frauen so sein dürfen, wie sie wollen, und ein kurzer Rock oder ein Oberteil mit Ausschnitt kein Freifahrtsschein oder eine Extraeinladung zur Befriedigung der männlichen Libido sind. #metoo




Trotz alledem muss man der guten Jutta gutheißen, dass so ein Song 1974 produziert wurde und sie auch bei diesem Liveauftritt definitiv alles gibt. Ihre Performance erscheint - geschuldet durch den Nostalgiebonus - ein wenig eigenwillig und steigert sich frenetisch-extatisch bis zum Höhepunkt (speziell ab Minute 2:47). Das ein Song über eine Frau, die vor ihrem Stalker flüchtet, zum Tanzen anregt, befremdet mich irgendwie auch. Noch schlimmer finde ich allerdings das Mitklatschen des Studiopublikums. Aber gut, das ist den Deutschen scheinbar angeboren, sobald der Musikrhythmus von den Klatschsynapsen erkannt wurde.

Ich vergebe heute fünf aufgestochene Reifen (inklusive Reserverad) eines nicht näher definierten Cadillacs für diesen Song!

Ein kleiner Kommentar trotzdem: Die weiße Hose gibt eindeutig mehr preis, als vielleicht notwendig gewesen wäre (ab Minute 1:24, speziell 2:04) ;)

Jutta hat sicher oft genug Aktenzeichen XY ungelöst angeschaut und weiß daher, wie man sich als Frau in einer unangenehmen Situation verhalten muss. Und so wie sie sich bewegt glaube ich, dass sich jeder Triebtäter dreimal vorher überlegen sollte, sie anzusprechen. Denn ich glaube, ihre Gegenwehr ist schärfer und stärker als so manches Pfefferspray!

Passt auf euch auf! Und falls ihr einen Cadillac besitzen solltet, macht einen großen Umweg um Jutta! (Das meine ich ernst!)

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