Freitag, 4. Dezember 2020

# 137 - "Es ist ein Mensch" - Meeting Point (1976)

Mit großen Schritten nähere ich mich dem 2.000. Besucher dieser Seite. Vor knapp neun Monaten, als ich diesen Blog mehr oder weniger als Beschäftigungstherapie ins Leben rief, dachte ich nicht, dass es nicht nur mir selbst, sondern auch anderen so viel Freude bereiten wird. Hoffentlich ist die Zeit der Lockdowns bald vorbei - für schlechte Musik lässt sich das definitiv nicht sagen ... dieses Themenfeld ist schier unerschöpflich.






MEETING POINT

A: Es ist ein Mensch (M & T: Wilton Kullmann)
B: This is a Man [Es ist ein Mensch] (M: Wilton Kullmann / engl. T: Howard Barnes)

1976, Linda, LIN S 4201
produziert von Robert Puschmann


Die Formation, die - wenn Anglizismen nicht damals bereits so populär gewesen wären - sonst womöglich "Treffpunkt" gehießen hätte, bestand von 1976 bis 1977. Soweit meine Recherchen es zulassen, wurde die Gruppe eigens für den Deutschen Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision 1976 (heute: Eurovision Song Contest) von Robert Puschmann zusammengestellt. Die einzelnen Mitglieder kannte er vermutlich von bereits realisierten Schallplattenproduktionen oder durch Studiojobs.

Mitglieder, die zweifelsohne erkannt werden konnten, waren:
- Robert Puschmann alias Peter Stern (1939-2000, bürgerlich Peter Wischmann)
- Herlinde Grobe (* 1948) -> 1973 Single-Produktion mit Puschmann als "Angela Burg" (alle aufmerksamen Leser dieses Blogs erinnern sich mit Schrecken an ihren Guten-Morgen-Song!)
- Mark Ellis (* 1943, bürgerlich Volker Burkhardt)

Nach einer weiteren Single ("Montego Bay") war 1977 dann auch wieder Schluss damit und das Projekt verschwand wieder von der Bildfläche.

Das musikalische Schaffen von Wilton Kullmann (* 1926), das auf Schallplatte veröffentlicht wurde, ist leider recht überschaubar. Dazu gehören z. B. "Ich sag' 'No', Boy" (Mary Roos, 1964), "Umarme mich" (Terry Lamo, 1965), "Lass mich lieber geh'n" (Monia, 1967) und "Sonne, Wind und Meer" (Michel Polnareff, 1969) dazu.

Robert Puschmann war da deutlich erfolgreicher. Bekannte Titel von ihm sind "Es tut gut" (Siw Inger, 1972), "Komm doch zu mir" (Agnetha, 1972), "Michaela" (Bata Illic, 1972), "Ti-Lai-Lai-Li" (Danyel Gérard, 1973) oder "Vogel der Nacht" (Paola, 1979).

Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du
Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du

Es ist ein Mensch
Den die Mutter liebte
Ja, es ist ein Mensch
Der mit Kindern spielte
Es ist ein Mensch
Der vor Freude lachte
Ein Mensch
Der an and're dachte
Ja, es ist ein Mensch
Wenn man ihn umarmte
Es ist ein Mensch
Der einst Freunde hatte
Ein Mensch
Der in Freude lebte
Ja, es ist ein Mensch
Der das Glück ersehnte

Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du
Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du

Es ist ein Mensch
Der vom Sturm getrieben
Es ist ein Mensch
Dem ist nichts geblieben
Ja, es ist ein Mensch
Der am Boden kauert
Es ist ein Mensch
Der vor Kälte schauert
Ja, es ist ein Mensch
Den der Hunger peinigt
Es ist ein Mensch
Der nach Wasser dürstet
Es ist ein Mensch
Der im Elend leidet
Oh ja, es ist ein Mensch
Dessen Augen schweigen

Es ist ein Mensch
Der um Gnade bittet
Ja, es ist ein Mensch
Der vorm Grauen flüchtet
Es ist ein Mensch
Den die Ängste plagen
Ein Mensch
Den die Feinde schlagen
Es ist ein Mensch
Den die Fesseln schinden
Es ist ein Mensch
Der im Schmerz sich windet
Yeah, ein Mensch
Dessen Wunden bluten
Es ist ein Mensch
Den die Menschen töten

Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du
Hilf ihm, es ist ein Mensch wie du


Die Botschaft ist ja relativ simpel: Gelebtes miteinander. Frei nach dem Motto "Hilf und dir wird geholfen". Trotzdem ist diese rührselig anmutende Gospel-für-Arme-Nummer alles andere als eine gelungene Ode der (christlichen?) Nächstenliebe. Der Text bleibt plakativ und in seiner Oberflächlichkeit dann auch leider recht platt und banal, obwohl an sich recht harte Dinge angesprochen werden.
Während die erste Strophe noch recht brav daherkommt und eher das allgemeine kindliche Miteinander im Freundes- und Familienbund beschreibt, wird uns spätestens in der zweiten Strophe klar, dass diesem Menschen (ich möchte jetzt nur äußerst ungern auf die aktuelle Genderthematik eingehen und bin froh, dass ich in diesem Song auf etwaige * verzichten kann, da der/die HauptprotagonistIn die Hauptfigur zweifelsohne ein Mensch ist. Und der scheint so allerhand mitgemacht zu haben, was man selbst in seiner Heilen-Welt-Blase nur ungern am eigenen Leib spüren möchte. Das Ganze spitzt sich dann in der dritten Strophe noch weiter zu und endet in einem eher mäßig optimistischen Schlusschor.

Die erste und dritte Strophe wird übrigens von Robert Puschmann, die zweite von Mark Ellis gesungen. Die Damen und der Herr in grün sind schmückendes Beiwerk. Die Aussprache lässt stellenweise ein wenig zu wünschen übrig, obwohl alle deutschsprachig sind. Da kann man sich leicht verhören ("Der vor Frauen flüchtet", "Der im Schlaf sich windet" oder "Dessen Hoden bluten"). Von zwölf Teilnehmern landeten sie damit tatsächlich auf Platz 6.

Was man sich definitiv auf der Zunge zergehen lassen darf, sind die originellen zeltartigen Kostüme der Damen und die klare Farbgestaltung. Auf die Choreographie komme ich noch gesondert zu sprechen.
Wir stehen im Dunkeln, drehen uns um und dann stehen wir erstmal wie festgeklebt und regungslos am Platz, ehe wir die Hände fröhlich zum Himmel emporstrecken (im Yoga-Kurs würde das fast als halber Sonnengruß akzeptiert werden) - hierbei kommt übrigens die sackartige Schnittgestaltung der Damenroben besonders gut zum Tragen. Diese Kleider eignen sich auch ideal um Problemzonen oder ganze Schwangerschaften vollständig zu verstecken.
Für die Strophen kommt dann die überaus beliebte rechts-links-Schunkel-Choreo zum Einsatz (die aber nicht von allen Mitgliedern gleich enthusiastisch geführt wird!). Die gilt für alle außer für Robert Puschmann - der muss ja die Hauptstimme singen. Und das geht nur, wenn man apathisch und regungslos dasteht - zugegeben, ein paar Emotionen hätten da durchaus mit hineinfließen dürfen. Aber wir befinden uns ja erst in Strophe 1, da ist die Welt ja sozusagen noch in Ordnung.
Der nächste Richtungswechsel für den Refrain ging rund 20 Jahre später übrigens als "Startposition für Macarena" in die internationale Musikgeschichte ein. Der vorgetragene Song eignet sich aber weder als Sommerhit, noch als Dance-Challenge.
Mark Ellis' Interpretation von Strophe 2 bringt da deutlich mehr Emotionen mit hinein. Wenn auch die Schunkel-Choreo thematisch langsam zu irritieren beginnt. "Hey yeah, ein Mensch, der im Elend leidet", diese Stelle eignet sich doch besonders gut zum fröhlichen Mitwippen!
Für die dritte Strophe durfte sich Robert Puschmann dann aber netterweise doch bewegen und auch seine Stimme schlägt deutlich stärkere Töne an. Spätestens jetzt ist die Gaudi-Schunkelei aber nur noch peinlich und deplatziert. Wissen die nicht, was sie gerade singen? Hey, der Typ bittet um Gnade, hat Angst, wird zusammengeschlagen und am Ende getötet. Sollen wir ihm vielleicht helfen? Ja, lasst uns fröhlich für ihn tanzen! :P
Die Tanzeinlage ab 3:05 kann sich aber fürchte ich nur für eine Situation eignen: Regen herbeizuschwören (oder den Lichttechniker, die Scheinwerfer auszumachen).

Ja, heute war ich etwas streng mit dem Song. Vielleicht bin ich morgen wieder etwas gnädiger ;)

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