Dienstag, 31. März 2020

# 13 - "Berge sind anders als Täler" - Enny Blank (1973)

Ja, die Liebe ... es gibt doch kaum etwas Schöneres auf der Welt, als einem Menschen tiefste Empfindungen auszusprechen. Lobo hat das 1972 auf unnachahmliche Weise mit "Baby, I'd love you to want me" geschafft, auszusprechen, was (unerfüllte) Liebe aber noch alles sein kann. Michael Holm hat dann später diesen Schmachtfetzen auch auf deutsch gecovert ("Baby, du bist nicht alleine"), konnte damit aber nicht an die großen Chart-Erfolge (u. a. #2 der US-Charts!) von Lobo, der den Song auch selbst geschrieben hat, anknüpfen.
Im deutschsprachigen Raum dauerte es allerdings etwas länger, bis Lobo damit einen Hit verbuchen konnte. Erst als der Song in der legendären Krimiserie "Der Kommissar" gespielt wird, schafft er auch hier den Hit.

Doch wir widmen uns heute einer anderen Coverversion, die augenscheinlich tatsächlich vor der bekannteren von Michael Holm erschienen ist.

(Genau lässt sich das schwer feststellen, aber Michael Holm hatte im November '73 einen Fernsehauftritt in der ZDF-Hitparade damit und eine andere Sängerin, deren Single die Produktionsnummer 6003 302 - also vier nach der folgenden - trat in der gleichen Sendung im Juni '73 auf, was dafür sprechen würde, dass die Holm-Produktion später veröffentlicht wurde.)




ENNY BLANK
A: Berge sind anders als Täler [Baby, I'd love you to want me - Lobo] (M: Roland LaVoie / dt. T: Horst Heinz Henning)
B: Herz (M: Heinz von Dugen = Horst Heinz Henning / T: Max Mainzel = Christine Neuhausen)

1973, Philips 6003 298

Nun, wenn man über den Titel "Berge sind anders als Täler" gestolpert ist, dann wird man feststellen: "Mmmh ... mit dem Original hat das aber nicht so viel zu tun!?" - Richtig: Diese Version ist deutlich rustikaler und nur auf den zweiten Blick ... äh ... das zweite Ohr als Lobos Song erkennbar.

Doch zuerst einmal, wer ist denn diese Interpretin, die einem in der gestreiften Bluse so fröhlich und nett-adrett entgegen lächelt? Dabei handelt es sich um die 1949 geborene Enny Blank (richtiger Name ist nicht bekannt). Blank wurde bereits mit 16 Jahren als jüngste Schülerin des Nürnberger Meistersinger-Konservatoriums ausgebildet, stieg aber bereits nach zwei Jahren aus - Klassik war nicht ihr Weg. Sie nahm Schauspielunterricht, spielte am Gärtnerplatztheater und begann eine Schlagerkarriere, die drei (verkaufstechnisch mäßig erfolgreiche) Singles überdauerte. Das lag aber nicht an ihrer Stimme (immerhin hat sie vier Oktaven - zugegeben, das hört man bei dieser Aufnahme nicht so wirklich), sondern an einer verpfuschten Operation inklusive Blutvergiftung, die einen fast zehn Jahre dauernden Überlebenskampf mit sich brachte - was nicht nur ihr ganzes Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellte, sondern auch das Ende ihrer Gesangskarriere bedeutete.
In den 80er-Jahren wagte sie ein Comeback und sang mehr als 25 Jahre lang auf den verschiedensten Kreuzfahrtschiffen (bis sie dort ihren Mann kennenlernte). Heute nennt sie sich Sarah Laux und singt großteils Chansons von Edith Piaf und eigene Titel - augenscheinlich mit Erfolg. Über ihre Kreuzfahrterlebnisse veröffentlichte sie kürzlich ein Buch.
In Sammlerkreisen erzielen Enny-Blank-Schallplatten aber gute Verkaufserlöse. Die hier vorgestellte wechselt meist für knapp dreistellige Beträge die Sammlungen - vor allem in den Niederlanden, wo der Titel scheinbar häufig in diversen Piratensendern zu hören war.

Dass die vorliegende Platte kein Hit wurde, liegt meiner Meinung nach weniger an den Gesangskünsten und Bemühungen von Enny Blank, sondern eher an der bescheidenen Textadaption und dem Umtata-Arrangement, der die Zartheit des Originals ziemlich brachial zerstört.

Berge sind anders als Täler
Aber ich glaube, dass ist ein Fehler
Riesen sind anders als Zwerge
Täler und Berge

Müssen sein auf dieser Welt

"Einmal", sprach der Berg zum Tal
"Komm, besuch' mich doch einmal
Denn hier oben, du wirst seh'n
Ist die Welt so weit und schön"

"Lieber Berg", sprach da das Tal
"Ist bei mir die Welt auch schmal
Aber eines glaube mir
Es ist sehr gemütlich hier"

Refrain

Dieses Gleichnis der Natur
Sagt uns Menschen schließlich nur
Dieser Unterschied muss sein
Auch bei uns, das seh ich ein

Refrain

Jede Größe sei gelobt
Doch wenn sie vom Sturm umtobt
Denkt der Berg vielleicht einmal:
"Wär' ich lieber doch ein Tal"

Refrain


Ja, da hat Horst-Heinz Henning, erfolgreicher Komponist und Texter, der in seinem "Stall" damals u. a. Lena Valaitis und Ramona Hits bescherte, dieses Mal echt daneben gegriffen.
Zugegeben, HHH war nicht gerade für die allerliterarischsten Veröffentlichungen am damaligen Markt bekannt. "Lieber mal weinen im Glück", "Durch Texas fährt die Texasbahn", "Ob es so oder so oder anders kommt", "Lächeln ist der Weisheit letzter Schluss", "Jedes Rädchen im Getriebe" oder "Lady Sweet Souvenir" klingen nicht unbedingt nach literarischen Perlen - waren sie meist auch nicht. Und Unterhaltungsmusik ist ja auch absolut legitim. HHH hatte ja durchaus Erfolg damit und durchaus auch einige Hits zu verantworten ...

So haben wir hier einen Tatsachenbericht aus der Vorstandssitzung von Mutter Natur: Der Berg hätte gerne, dass das Tal gefälligst - endlich - einmal zum Gegenbesuch antanzt und das Tal bemerkt natürlich nicht, wie sehr es den Berg verletzt und reibt ihm auch noch unter die steinige Nase, dass es aus Bequemlichkeit gar nicht dran denkt, sich in Gang zu bewegen. An dieser Stelle hätte man doch zumindest eine, die Situation etwas beruhigende, Notlüge wählen können (Höhenangst zum Beispiel oder eine schwierige Kindheit), aber nein, Fehlanzeige. Ein schwerwiegender Konflikt bahnt sich an.
Und wie hilft Enny dieses Problem zu lösen? Genau, gar nicht. Aber gut, wie soll sie auch. HHH hat ihr dazu ja nur Weisheiten aus der bunten literarischen Welt der Abreißkalenderblätter gegeben und sie erkennt zumindest den Unterschied zwischen den beiden an. Zu einer Lösung trägt das freilich nicht bei.
Da der Berg aber nun traurig ist, versucht sie noch abschließend beide positiven Fakten darzulegen, was allerdings scheitert und dazu führt, dass der Berg ein schweres Traumata entwickelt, sich selbst aufgeben und eine neue Identität annehmen möchte. Ganz toll gemacht. So löst man Probleme!









Für diese eigenwillige Coverversion vergebe ich fünf von fünf Bergen, die ich gerne versetzen möchte, um das Selbstwertgefühl selbiger wieder zu stärken. Dafür, dass man noch Randgruppen wie Zwerge mit ins Boot holt, müsste ich freilich noch zwei extra Berge vergeben, da ja allgemein bekannt ist, dass Zwerge hinter sieben Bergen wohnen ...

Egal. Im Vergleich das Original von Lobo. Klingt dann doch ein bisschen anders (und eignet sich auch besser zum Klammer-Blues tanzen) ... ;)




Als Tipp von mir: Nach der Krise bitte Berge UND Täler gleichermaßen besuchen. Die beiden leiden aktuell bereits genug. Sollten Sie sich aber gerade im Burgenland oder den Niederlanden befinden, ja, dann müssen Sie sich etwas weiter bewegen, um auch mit Bergen in Kontakt zu kommen. Ich sage nur eines - wenn man mich fragen würde: Berge sind anders, Täler auch. In diesem Sinne: Gutes Gelingen!

Montag, 30. März 2020

# 12 - "Johnny, bitte, bitte" - Mary Lynn (1971)

Heute versuche ich, dass ihr mit ein paar heißen Reggae-Beats das eher bescheidene Wetter vergessen könnt ...
Tatsächlich wurde 1971 eine der ersten deutschsprachigen Reggae-Songs veröffentlicht. Auch wenn die Produktion in der Schweiz stattfand, lassen wir das gelten ;)



MARY LYNN
A: Johnny, bitte, bitte [Johnny Reggae - The Piglets] (M: Jonathan King / dt. T: Ben Grib)
B: Will die Sonne sehen [Can't you see the Sun? - Proud Mary] (M: Stephan Sulke / dt. T: Sunny Lang)

1971, Mabel Records 10 991 AT

Leider ist über Mary Lynn nichts bekannt, außer das sie zuvor einige Titel als Frontfrau der Formation "Proud Mary" veröffentlicht hat. Die Platten wurden von Stephan Sulke produziert und großteils auch von ihm komponiert und getextet. Sulke lebte damals in der Schweiz und arbeitete - neben seiner Anfang der 60er-Jahre gestarteten Gesangskarriere - verstärkt im Background. Ab Mitte der 70er-Jahre hatte er dann auch als Sänger größere Erfolge im deutschsprachigen Raum (u. a. mit "Uschi" 1982).

Schade, dass über Mary Lynn nichts bekannt ist und es vermutlich keine weiteren Veröffentlichungen nach 1971 von ihr gibt. Sie hatte durchaus Talent (das erkennt man aber eher an ihrem Album!) ... Aber Hits und Gesangskarrieren sind und bleiben leider unergründlich. :/

Das Original "Johnny Reggae", das von The Piglets (zu deutsch: Die Ferkel) - einem scheinbaren Studioprojekt von Jonathan King - veröffentlicht wurde, stammt ebenfalls aus dem Jahr 1971 und erreichte Platz 3 der UK-Charts.
Die Gesangspart sind bis heute nicht lückenlos geklärt, Jonathan King beschreibt in seiner Autobiographie, dass es sich großteils um unbekannte Studiosänger handelte, der Leadgesang aber von Barbara Kay alias Kay Barry stammt, die obwohl bereits über 40, versuchen sollte, wie ein Teenager zu klingen.


Die ganze Aufnahme ist meiner Meinung nach durchaus zweideutig konzipiert. Vor allem die zweite Refrainzeile ("Johnny Reggae Reggae, lay it on me") ist speziell, da ich das Wort "it" auch nach 30 Wiederholungen nicht hören kann ... ;)

Doch nun zur deutschen Coverversion, die meiner Meinung nach schon ein bisschen expliziter auf das Ganze eingeht und das ist dann an Zweideutigkeit nicht mehr zu überbieten!

Ist das der Johnny?
Ja, das is' er
Er ist der Größe
Jeder kennt ihn hier
Alles kommt wenn er spielt
Klasse wie er's macht
Jede Nacht

So spielt nur er Gitarre
Alle Girls sind high
und danach schwupp


--> da wurde aus dem begabten Baseballer des Originals doch glatt ein virtuoser Musiker, der auch vor dem einen oder anderen Groupie nicht halt zu machen scheint ...

Johnny bitte bitte
Spiel' doch Johnny, bitte
Deine Hände, Johnny, können viel
Jeder mag's bei Johnny

jeder sagt's bei Johnny
Johnny bitte bitte 
Johnny spiel'


--> Johnny scheint also über sehr talentierte Fingerkünste zu verfügen. Natürlich gehen wir davon aus, dass er seine Hände nur zum Gitarrenspiel verwendet und nicht für andere Dinge, auch wenn mitunter sehr lasziv gefleht wird (das "jeder mag's bei Johnny" klingt für mich immer eher nach "jeder macht's bei Johnny")

Alles tanzt und tobt und schreit
Johnny go, go, go
Seine Hände können allesWas für eine Show
Johnnys Beat, der ist so sexy
Er ist spitze
Wie er's macht


--> Ja, aus dem Kontext gerissen könnte man diese Phrasen auch ganz anders interpretieren ;)



Für diese heiße Aufnahme vergebe ich fünf von fünf Plektren (damit Johnny seine zarten Finger ein bisschen schonen kann).

Zur Feier des Tages hier auch das "schweinische" Original :D




Habt einen schönen Tag - mit oder ohne Mundschutz - und findet doch mal heraus, was eure Hände so alles können ... auch ohne direkte Aufforderung ;)

Sonntag, 29. März 2020

# 11 - "Der Hund von Baskerville" - Cindy & Bert (1971)

Tja, der deutsche Schlager. Wie viele Leute haben ihm bereits den Tod vorhergesagt. Und dann tauchte immer wieder eine neue Beatrice Egli oder Helene Fischer aus der Versenkung auf und der große Hype setzte ein.

Heute hab ich ein ganz besonderes Schmankerl vorbereitet. Es ist mein All-Time-Favourite! Die obskurste deutsche Coverversion ever!




Ja, Cindy und Bert. Das deutsche Schlagerduo (vor Florian Silbereisen und Helene Fischer) schlechthin! Wobei Cindy und Bert natürlich Künstlernamen sind. Jutta und Norbert hätte ja nicht so sexy und international geklungen ;)
Jutta Gusenburger (* 1948) und Norbert Maria Berger (* 1945) stammten beide aus dem Saarland und lernten sich 1965 kennen und formierten das Duo "Cindy und Bert". 1967 heirateten die beiden. Ihr gemeinsamer Sohn Sascha, der ebenfalls Musiker ist (Millenials wird sein Hit "Zeig' mir dein Gesicht", unter dem Künstlernamen Berger, als Titelsong der zweiten Big-Brother-Staffel 2000, vielleicht noch ein Begriff sein), wurde 1976 geboren.
Nach einigen gemeinsamen Hits (u. a. "Immer wieder sonntags", "Aber am Abend, da spielt der Zigeuner", "Spaniens Gitarren" oder "Wenn die Rosen erblühen in Malaga") und einer Teilnahme am Eurovision Song Contest (1974 für Deutschland - ABBA gewann!) ließen sich die beiden 1988 scheiden. Cindy machte zunächst solo weiter, ehe die beiden ab Mitte der 90er-Jahre wieder gemeinsam auf der Bühne standen.
2011 nahmen sie an "Cover my song" auf VOX teil und coverten einen Song des Rappers Favorite. 2012 starb Bert mit 67 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.


CINDY & BERT
A: Holly Holy [Holly Holy - Neil Diamond] (M: Neil Diamond / dt. T: Josua Röckelein)
B: Der Hund von Baskerville [Paranoid - Black Sabbath] (M: Terrence Butler, F. Frank Iommi, John Osbourne & William T. Ward / dt. T: Bert Berger)

1971, Cornet 3220

Doch Cindy und Bert mussten sich ihren Platz im deutschen Schlagergeschäft erst einmal erkämpfen. Ihr Weg zu einem der erfolgreichsten Duos dauerte mehrere Jahre an. Hört man sich die frühen Aufnahmen der beiden an, entdeckt man allerdings mehr Ähnlichkeiten mit internationalen Duos wie Sonny & Cher oder Esther & Abi Ofarim. In dieser Zeit versuchen sie zunehmen einen eigenen Stil zu finden, der internationale Einflüsse (beispielsweise auch Gospel) aufweist. Die Lieder sind gut, gehen aber nicht ausreichend ins Ohr. Erst als sich das Erfolgsduo Werner Scharfenberger und Kurt Feltz den beiden annimmt, kommen die Hits - dann aber wirklich Schlag auf Schlag!

Fernweh, Urlaub, Liebe, gute Laune - das sind die Hauptthemen von Cindy & Bert. Gesellschaftskritische Titel wie "Hallo, Herr Nachbar" stehen weniger an der Tagesordnung und das ist auch okay, denn der Rubel rollt und die beiden präsentieren diese Art von Musik souverän. Sie haben ihren "Markt" gefunden.

Doch bis dorthin war es ein weiter Weg und so kam es auch zu dieser Aufnahme und ich habe keine Ahnung, wie das passierte. Ich kann mir wirklich sehr viele verschiedene Szenarien vorstellen, aber wer um alles in der Welt kommt auf die Idee den Titel einer Heavy-Metal-Band zu covern? 
Black Sabbath's "Paranoid" war 1970 ein Riesenhit - das dazugehörige Album kletterte in Deutschland bis auf Platz 2 der Charts. Da wäre doch ein entsprechendes deutsches Cover fällig. Wen nehmen wir dafür? Ach ja, genau, Jutta und Norbert aus Saarbrücken! ;)

Fakt ist, dass die Aufnahmen stattfanden (ich bin begeistert, dass sie die Rechte dafür bekommen haben - viele internationale Bands/Interpreten hatten da ja sehr strenge Regelungen, was mit ihrem geistigen Material passiert) und der unfassbare Text von Bert himself stammt. Das hätte sich Ozzy Osbourne wohl nie zu träumen gewagt - das sein größer Hit von einem deutschen Schlagerduo gecovert wird!

Eigentlich müsste man wirklich annehmen, dass Cindy und Bert damals alle schockieren und verarschen wollten ... aber ich glaube, sie haben das wirklich ernst gemeint. Und das macht die ganze Geschichte noch geiler! ;) 

Das beginnt allein bei dem Thema: Während es in "Paranoid" um das unglückliche Ende einer Beziehung geht - wir kennen das, man macht Schluss, weil man das Gefühl hat, es fehlt einem etwas und danach fühlt man sich nicht besser, weil man merkt, dass einem immer noch etwas fehlt (+ nun, neu dazugekommen, auch körperliche Austauschmöglichkeiten mit der/dem Verflossenen) und wie man danach seine Sinne wieder in den Griff bekommt, hat man sich für das deutsche Cover (ja, wir entfernen uns textlich SEHR weit vom Original) für etwas Literarisches entschieden: nämlich Arthur Conan Doyle. Oder vielmehr seinen Superhero: Sherlock Holmes. In Deutschland lief wenige Jahre zuvor die Erfolgsverfilmung "The Hound of Baskerville" (wir erinnern uns: hound = heulen), aber wie das so üblich ist, muss man ja beim Übersetzen nicht so genau sein ... also wurde daraus "Der Hund von Baskerville". Und somit hätten wir bereits einen prägnanten Titel für unser Schlagerchen gefunden. Bühne frei:

Nebel zieht in dichten Schwaden
übers Meer von Forest Hill
Grün-gespenstisch grinst ein Irrlicht
Es ist Nacht in Baskerville


--> bereits an dieser Stelle ein Sonderlob, solcherlei Poesie bringt das Germanistenherz zum Schlagen (beispielsweise die charmante Alliteration in Zeile 3) bei dieser literarisch-hochwertigen Landschaftsbeschreibung

Wer verbreitet Angst und Schrecken?
Wer vernichtet, was er will?
Jeder sucht sich zu verstecken
Vor dem Hund von Baskerville

Wen er anfällt
Dieser Hund von Baskerville - o yeah
Hat verloren
In dem Kampf um Baskerville - o yeah

--> Das klingt natürlich alles andere als gut, wenn dieser Hund jetzt nicht nur bösartig, sondern auch gefräßig ist. Das muss ja ein ziemlicher Brocken sein.

Und es traut sich keine Seele
In das dunkle Moor hinein
Jeder zittert um sein Leben

Wer wird wohl der Nächste sein?

Gut. Wenn ich weiß, dass da irgendwo ein bösartiger Hund herumschleicht, der gerne Menschen verspeist, ist es legitim, Angst davor zu haben. Muss man aber nun das Leid, nicht mehr in mannigfaltigem matschigen Moor zu marschieren, auch noch kundtun? (gut gelaunte gescheite Germanisten werden in diesem Satz auch Alliterationen finden!) #stayfuckhome sag ich da nur

Bald ist die Mission beendet
Die sein irrer Herr ihm gab
Lautlos, wie er einst gekommen
Schleicht er sich ins Moor hinab

Ah ja. Da haben wir also die Erkenntnis. Eine geheime Mission: CIA, KGB, YMCA? Man weiß es nicht. Vielleicht doch ein geheimes Komplott mit dem Ungeheuer von Loch Ness? Die Antwort liegt wohl tief verborgen im Moor.

Nebel zieht in dichten Schwaden
Übers Moor von Forest Hill
Und verbirgt des Rätsels Frage
um den Hund von Baskerville


Hä!? Ich dachte wir wissen doch jetzt des Rätsels Antwort (es gibt eine Mission, die von einem irren Herrn ausgeht. Fall erledigt. Watson & Holmes können auf ein verdientes Feierabend-Bier gehen). Also Bert echt, da hättest du mit den letzten zwei Verszeilen doch etwas mehr Klarheit reinbringen können, z. B.

Nebel zieht in dichten Schwaden
Übers Moor von Forest Hill
Paranoid-sein ist ein Schaden
wenn man drüber singen will ... oder so ;)


Was aber noch viel großartiger ist, ist dass die beiden mit diesem Song in der beliebten Musiksendung "Hits a Gogo" auftraten. Dieses Zeitdokument samt akkurater Tanzaufforderung von Moderatorin Suzanne Doucet (die heißt wirklich so! und stammt - wie der Name bereits verspricht - aus Tübingen in Baden-Württemberg). Die jungen Boys und Girls stürmen frenetisch - elegant gekleidet und korrekt frisiert - die Tanzfläche, um dort bei ihrem Black-Sabbath-Lieblings-abdance-Song alles rauszulassen, doch dann ertönen ungewohnte Stimmen: Ja, Cindy und Bert are in the house!



Und die beiden präsentieren vermutlich eines der ersten Musikvideos made in Germany! Es ist wie ein Unfall - man will wegschauen, kann aber nicht aufhören hinzustarren! 

Cindy & Bert, vermutlich vor einem gemalten Hintergrund abgestellt, werden erstmal ordentlich benebelt ... äh ... eingenebelt! Nebel macht immer Stimmung, die beiden singen ja auch davon! Gut das es in Forest Hill gerade nicht regnet ;)
Da schwingt auch die adrette Suzanne ihr Tanzbein, wenn so dufte Mucke läuft. Bedeutungsschwangere Blicke von Bert, drei Lagen Wimpern bei Cindy (die Arme kann fast die Augen nicht aufhalten) - beides natürlich Close-up! 

Und alle fragen sich nur: Wie sieht dieses bösartige Monster wohl aus? Doch der Sender hat ein Erbarmen und zeigt es - ohne Kinder und schwache, alte, herzkranke Menschen  noch rechtzeitig warnen zu können - einfach her: Bei Minute 1:06 ist diese Schreckensgestalt zu sehen ... brrr ... mir läuft es in kalten Schauern den Rücken hinab!

Die Kameraführung schwenkt an Cindy entlang, ihr psychodelisch-gemustertes Kleid hilft dabei, die Stimmung weiter anzuheizen, auch Bert kann nicht anders, als seinen Blick von der Kamera abzuwenden. Möglicherweise hat er Nebel in die Augen bekommen. Sein Blick scheint etwas glasig. 

Bei Minute 1:20 schwenken wir auf ein junges Tanzpaar. Ja, bei "Let's dance" bzw. "Dancing Stars" hätte es Höchstbewertungen en masse für diese Leidenschaft, dieses Feuer und vor allem diese Erotik gegeben. So muss tanzen, anno 1971. Aber da gab es ja noch wen? Genau ... Cindy und Bert.
Die beiden dachten wohl auch schon, dass bald Schicht im Schacht ist, werden dann aber auf spektakuläre Weise (das sind noch Effekte) fast unsichtbar "ins Bild geschoben". Während Bert wirkt, als wäre er ausgestopft (wow, der kann echt lange nicht blinzeln), offenbart Cindy's Schlafzimmerblick ganz andere Dinge ... so, ich brauch jetzt eine Zigarette. Und Suzanne auch: "Genug getanzt!"


Für den Song vergebe ich fünf von fünf Hundeknochen und zwei Paar Fakewimpern für diese atemberaubende Performance!

Ich hoffe ihr bekommt jetzt keine Alpträume. Falls doch, braucht ihr nur Angst haben, wenn ihr euch in der Nähe eines Moores befindet! Hey ... was war das für ein Heulen? Hallo ... wie kommen Sie in meine Wohnung hinein ... hallo ... nein, lassen Sie mich, Hilfsfsöfnei isdfjsdöfosofdfs ...
[The End]

Samstag, 28. März 2020

# 10 - "Eins, zwei, drei" - Nina Lizell (1976)

Okay, jetzt ist es offensichtlich. Ja, mir macht das Entdecken deutscher Coverversionen einfach viel zu großen Spaß. Dadurch lege ich jetzt offiziell (damit mein schlechtes Gewissen sich wieder schlafen legen kann) den Schwerpunkt für die nächste Zeit auf deutsche Coverversionen.
Ob ich damit dem deutschen Schlager einen guten Dienst erweise? Tja ... ;) Ich frag mal Herrn Kliebenstein, der weiß das sicher. Siehe dazu den gestrigen Post



NINA LIZELL
A: Eins, zwei, drei [Un, deux, trois - Catherine Ferry] (M: Jean-Paul Cara & Antoine Rallo / dt. T: Jörg von Schenckendorff)
B: Ich kann dir nur Liebe geben (M: Ralph Siegel / T: Kurt Hertha)

1976, Jupiter Records 16 762 AT
produziert von Ralph Siegel


Es war 1976 als sich das Leben der 23jährigen Catherine Ferry aus Frankreich von einem Tag auf den anderen schlagartig änderte: Zweiter Platz beim Grand Prix d'Eurovision (die damalige Bezeichnung des Eurovision Song Contests) in Den Haag. Das beste Ergebnis Frankreichs seit dem Sieg von 1969 - ehe sie ein Jahr später mit Marie Myriam wieder am Siegertreppchen stehen.

Doch hat ein Lied, das die romantische Adaption eines Kinder-Abzählreims Berechtigung an so einer Veranstaltung teilzunehmen? Nun ja, warum nicht. Der Grand Prix war damals kein Sängerwettbewerb, sondern eigentlich ein Wettbewerb für Komponisten und Texter. In diesem Sinne haben sie ihre Aufgabe zufriedenstellend erledigt, einen Song zu schreiben, der eingängig und unterhaltsam ist.
Und bei allem Respekt: Selbst ein eher einfaches Schlagerchen (der Vorteil an der französischen Sprache ist, dass viele diese nicht beherrschen und dadurch den eher nichts-sagenden Text in Originalsprache nicht verstehen - und auf französisch klingt - merdé - doch fast alles besser ;)) wirkt ganz anders, wenn es live mit einem großen Orchester - unter der Stabführung des Komponisten (!!), welcher ESC-Komponist wäre heute dazu noch in der Lage? - vorgetragen wird (einen Extrabonus an die vier Backgroundboys für die perfekten clapping hands).




Und so dachte sich wohl auch Ralph Siegel, dessen eigener Song-Contest-Beitrag "Sing sang Song" (im Vorjahr hatte übrigens die niederländische Band Teach-in mit dem literarisch anspruchsvollen #sarcasmoff "Ding-a-Dong" gewonnen) nur auf Platz 15 (von 18!) landete, davon müssen wir eine deutsche Coverversion machen!

Ob dann allerdings die von Nina Lizell oder jene von Catherine Ferry selbst schneller am Markt war, konnte ich auf die Schnelle nicht eruieren.

Nina Lizell (* 1944) ist etwas einzigartiges in ihrer Karriere gelungen: sie war in den 60er- und 70er-Jahren sowohl in Westdeutschland als auch der DDR eine höchsterfolgreiche Sängerin mit zahlreichen Plattenaufnahmen und Fernsehsendungen.
Hits waren beispielsweise "Ein kleiner Teufel steckt in dir" (BRD, 1970), "Rauchen im Wald ist verboten" (DDR, 1969) oder "Der Mann mit dem Panamahut" (DDR, 1973). Es gibt auch ein recht bekanntes Duett mit ihr und Lee "Summer Wine" Hazlewood.

Nina Lizell startete mit dieser Coverversion ein kleines Comeback, sie war zwar nie ganz weg, aber trotzdem war es für die Sängerin, die kurz zuvor ein Kind bekommen hat, eine gute Möglichkeit - idealerweise - wieder einen Hit zu landen.

Es brachte ihr zumindest einen Auftritt in der legendären Samstagabendmusiksendung, der ZDF-Hitparade, ein. Doch sie konnte sich damit leider nicht unter den besten vier platzieren. 

Eins, zwei, drei
Woran denkst du dabei?
Fällt es dir wieder ein
Unser Spiel, das wir als Kinder spielten

Eins, zwei, drei
Wie ein Vogel so frei
Will ich leben mit dir
Wir spielen

Eene, Eene, Meene, Muh
Eene, Meene, raus bist du
Damals dachten wir noch nicht daran
Das mit diesem Spiel das Glück begann

Eene, Eene, Meene, Muh
Heute sag ich "I love you"
Dieses Spiel soll nie zu Ende geh'n
Denn mit dir ist Liebe erst schön

Eins, zwei, drei
Jeder Tag geht vorbei
Doch die Stunden mit dir
Sind für mich mehr als nur Erinnerungen

Eins, zwei, drei
Wie ein Vogel so frei
Will ich leben mit dir
Wir spielen


Refrain ...


Auch heute spare ich es mir näher auf den wirklich sehr beliebigen Text einzugehen. Man muss wirklich eine gute und professionelle Sängerin sein, um auch so ein seichtes Schlagerchen adäquat zu präsentieren. Im Fernsehen legt sich Nina, inzwischen 32 Jahre alt, in dem pinken Fransenkleid immerhin voll ins Zeug und mit dem schwedischen Akzent klingt es gleich noch süßer - dachten sich damals sicher auch so manche Zuseher (vor allem der bei Minute 1:35 ist von Nina mehr als nur entzückt!). 




Eene-Eene-Meene-Muh eignet sich übrigens auch großartig als Abzählreim für unliebsame Hausarbeiten (z. B. muss die auserwählte Person den Müll runter bringen oder den Geschirrspüler ausräumen). Lebt man allein, ... tja ... dann ist man in dieser Hinsicht eigentlich immer der Verlierer ;) muss aber zumindest keinen fremden Dreck wegräumen!

Ich gebe fünf von fünf Zahlen, damit Nina beweisen kann, dass sie deutlich weiter als nur bis drei zählen kann!

Schönes Wochenende ... eene ... eene ... meene ... super, jetzt hab ich einen Ohrwurm :/

Freitag, 27. März 2020

# 9 - "Lover, Lover, Lover" - Carola (1974)

Es war zwar nicht geplant, aber deutsche Coverversionen erfüllen mich immer mit großer Begeisterung. Noch mehr, wenn sie ein spezielles Zeitdokument zur damaligen Zeit liefern.
Eine Single, die das unfreiwillig geschaffen hat, ist die folgende:



CAROLA
A: Lover, Lover, Lover [Lover, Lover, Lover - Leonard Cohen] (M: Leonard Cohen / dt. T: Hans-Ulrich Weigel)
B: Die Welt uns'rer Kinder [Inno - Mia Martini] (M: Dario Baldan / dt. T: Hans-Ulrich Weigel)

1974, Hansa 17 388 AT

Hansa-"Erfolgsautor" Hans-Ulrich "Ulli" Weigel, damals 30 Jahre alt, nahm sich der knapp 18jährigen Carola aus Berlin an. Nachdem sie in einem Folkclub entdeckt wurde, wo sie Songs zur Gitarre spielte, produzierte man mit ihr 1973 "Oh, Willy Brandt" (ja, politische Songs waren damals wie heute gefragt!).

Für die Nachfolgesingle wurde ein Cover eines populären Titels (in Deutschland sogar in der Top10) von Leonard Cohen (Überraschung! Es gibt außer "Halleluja" auch noch andere Songs von ihm!) gewählt.
Weigel, der zu dieser Zeit bereits einige erfolgreiche Produktionen verbuchen konnte, hatte z. B. mit "Ich mach' ein Interview mit deinem Herzen" (Graham Bonney, 4. Platz Dt. Schlagerwettbewerb 1970) und "Lass dir Zeit" (Marianne Rosenberg, 1973) erfolge. Sein größter Hit bis dato war aber eindeutig "Am Tag, als Conny Kramer starb" (Juliane Werding, 1972). Btw: Auch die kürzlich vorgestellte Scheibe "Eine Reise ins Nirwana" stammt aus seiner Feder.

(Weigel landete übrigens 1977 mit "Kreuzberger Nächte" der Gebrüder Blattschuss einen weiteren Hit - spannend wie unterschiedlich die thematischen Genres seiner Titel waren ...)

Mit der 1956 geborenen Carola Sakautzi (zugegeben, ein schwer zu merkender Name), die nach der Scheidung ihrer Eltern in ein Mädchenwohnheim kam, sollte nun ein neuer Stern am Schlagerhimmel geschaffen werden. Ein löblicher Versuch, der leider scheiterte. 
Carola veröffentlichte bis Anfang der 80er-Jahre noch unregelmäßig weitere Platten, teilweise auch Eigenkompositionen.

Nun aber zu "Lover, Lover, Lover":

Mein Vater fragt mich:
"Hey, sag' mal, was ist los mit dir?
Du sitzt den ganzen Tag nur hier in deinem Zimmer
und starrst auf diese Tür?"


Ich sag' "Lover Lover Lover Lover Lover Lover Lover, das liegt an dir"
Ich sag' "Lover Lover Lover Lover Lover Lover Lover, komm doch zurück zu mir"


Mein Lehrer droht, dass es demnächst mal
Ein böses Ende nimmt mit mir

Weil ich für Mathe und Geschichte und so weiter
Mich kaum mehr int'ressier'

Refrain

Meine Freundin bringt mir Platten
Ich rühr' sie gar nicht an
Weil ich die ewig gleichen Liebeslieder 
nicht mehr hören kann

Refrain

Du sprachst: "Komm in meine neue Welt"
Und ich ging mit dir
Doch es war nur ein zerfallener Tempel
Nun wach' ich auf und frier'

Refrain

Der Arzt gibt mir Tabletten
Und redet mir gut zu
Doch das Letzte was mich retten könnte
Bist ganz allein nur du

Refrain


Ja, gut. Literarisch sicher nicht nobelpreisverdächtig und ob es dem Cohen-Original entgegen kommt? (Immerhin wurde das Wort Tempel verwendet) Tatsächlich gibt es unterschiedliche Ansichten, wie der Originaltitel von Cohen zu deuten ist. Er geht auf jeden Fall existentiellen Fragen nach und ist deutlich unbequemer. Es gibt einen  sehr interessanten Artikel, der die Umstände beschreibt, in denen der Song entstand.
Aber passt das in die Welt einer knapp 18jährigen Berlinerin? Interessiert das deutsche Teens, die einfach nur Musik hören wollen? Sehr fraglich. Konnten sie aber "die gleichen ich-fühle-mich-verlassen-und-bin-unglücklich-verliebt-Lieder" vielleicht auch nicht mehr hören?




Urteilen Sie selbst. Aber bitte nicht über Carola. Die musste eh einiges über sich ergehen lassen!

Im Oktober 1975 sind Carola und Ulli Weigel in der ARD-Musiksendung "Pop 75" zu Gast. In den damaligen Zeiten sind Fernsehauftritte ein großer Ritterschlag. Doch als Carola und Weigel im Studio sitzen, ist ihnen meiner Meinung nach nicht ganz klar, was in Kürze passieren wird, nämlich, dass Carola nicht eingeladen wurde, um einen ihrer Titel zu singen.

Was dann vor laufenden Kameras geschieht, ist etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte, etwas, ja, was meiner Meinung nach am guten Geschmack ziemlich weit vorbei schrammt. Und ich spreche jetzt nicht von Carolas Platte. Sondern wie der Moderator Hals-Jürgen Kliebenstein mit ihr umgeht. Nicht vergessen: Carola ist damals noch ein junges Nachwuchssternchen, 19 Jahre alt und hat Schallplatte-Nr. 2 veröffentlicht, mit der sie sich natürlich auch ein Stück weit einen Hit erhofft hat.

Nun sind Carola und Weigel allerdings in der Rubrik der "Verleihung der goldenen Zitrone" geladen, einem Preis, der monatlich für die schlechtesten Plattenproduktionen verliehen wird. Mehrere KünstlerInnen waren dort zu Gast, die das Ganze relativ cool nahmen, sowieso nicht hinter den Platten standen oder einfach nur aus Jux und Tollerei diese Songs aufgenommen haben - die freuten sich auch über die negative Publicity und gingen wieder zum Tagesgeschehen über, frei nach dem Motto: "Schwamm drüber. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!".

Bei Carola, die "Sängerin ohne Zuhaus", wie die Bravo titulierte, sah das aber anders aus.  Hier waren die Träume und Hoffnungen wohl doch größer. Die Songs, die sie aufnahm, vielleicht doch ein Stück mehr von "ihrer" Welt, als man meinen würde.
Natürlich stand sie im Musikbusiness und das ist hart, keine Frage. Da muss man schon auch starke Nerven haben und wissen, dass man nicht überall Freunde hat. Aber zwischen mit Glacéhandschuhen anfassen und vor laufenden Kameras auseinandernehmen gibt es - meiner Meinung nach - schon auch Unterschiede.

Ich gebe ein paar Zitate wieder:

Die Begründung zur Verleihung:
"Die Umsetzung des Leonard-Cohen-Titels 'Lover, Lover, Lover" in Deutsche darf als misslungen bezeichnet werden. Der anspruchslose Text in Verbindung mit der ausdruckslosen Interpretation setzt dieses Werk auf eine niedrige Stufe der deutschen Unterhaltungsmusik. Herr Weigel hat mit dieser Produktion dem deutschen Schlager einen schlechten Dienst erwiesen."

Das Publikum applaudiert und Weigel macht das Einzige, was man in dieser Situation machen kann, er lacht darüber. Carolas Gesichtsausdruck lässt sich aber anders deuten. Gequält wirkt das Lächeln der jungen Sängerin. Sie scheint sich ein wenig, wie im falschen Film zu fühlen.
Weigel stellt sich recht souverän den Fragen des Moderators und entgegnet, dass er den Titel gar nicht schlecht findet, sonst hätte man ihn ja nicht produziert. 

Wer bestimmt den, wer "dem deutschen Schlager einen guten oder schlechten Dienst erweist"? ARD? Unterhaltungschefs? Der Mann im Mond? Es ist ja nicht so, dass er diesen Titel beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb eingereicht hat und nun Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki darüber urteilen darf.

Nun urteilt aber Kliebenstein, dass Cohen zwar auch nicht der begnadete Sänger sei, der Titel "aber von Carola mehr oder weniger so nachgesungen wird, wobei da - das ist kein Vorwurf, das ist eine Tatsache - die Persönlichkeit Leonard Cohens fehlt, das ist klar."

Besonders unangenehm empfinde ich folgende Situation. Carola musste sich das Ganze anhören, bekam zwar netterweise ein Mikro in die Hand gedrückt, sagen ließ man sie aber nichts. Als Kliebenstein nun fragt: "Carola, stehen Sie hinter diesem Titel textlich, musikalisch?" und die junge Sängerin antworten, ja sich erklären möchte: "Naja, ich steh schon etwas hinter, weil ..." unterbricht er sie nach gerade mal 3 (!!!) Sekunden und schlägt stattdessen vor, einfach die Platte abzuspielen. Ich meine, man hätte Carola auch anbieten können, den Song live zu singen. Vielleicht wäre da die Interpretation lebendiger gewesen? (Man hätte die Situation so nutzen können, Carola als talentierte Live-Künstlerin zu zeigen ...)
Weigel möchte sich noch erklären, doch Kliebenstein setzt die Nadel des Plattenspielers auf. Der halbherzige Dank Kliebensteins an seine Gäste wird mit einem sehr direkten "Tschüss" von Carola abgewehrt. Er steht auf und die Kamera fängt die beiden Künstler ein, wie sie noch einige Sekunden zur Musikeinspielung sitzen bleiben müssen.




Ja, man kann argumentieren, dass das nicht das Gelbe vom Ei war. Carola ist wohl weder musikalisch noch gesanglich mit Cohen vergleichbar, aber diese mediale Hinrichtung, war die notwendig?
Die TV-Produzenten hat's vermutlich gefreut und einige Leute haben sich im Studio und vor den Bildschirmen amüsiert. Und am nächsten Tag war alles wieder vergessen. Niemand dachte mehr an die junge Sängerin mit dem als schlecht bezeichneten Titel (der Verkauf der Platte wurde dadurch vermutlich auch nicht gerade angekurbelt!). Doch die musste aus dem Haus gehen und auf Menschen treffen - und dieser Auftritt hat sich sicher schnell rumgesprochen. Und da gab es sicher auch im Umfeld der jungen Sängerin ähnliche negative Kommentare. Und freut sich die Plattenfirma, dass man die schlechteste Platte des Monats gemacht hat? 
Wahrscheinlich nicht.

Ich habe keinen Kontakt zu Carola. Ich weiß auch nicht, wie ihre Verträge waren. Ich mutmaße nur. Nach "Lover, Lover, Lover" veröffentlichte Hansa keine weiteren Schallplatten mehr mit ihr. Und erst 1977 (!) erschien die Single "Ich waren alle Männer", allerdings bei Philips (übrigens auch in Zusammenarbeit mit und von Ulli Weigel produziert!).
Ich kann mir vorstellen, dass diese ganze Geschichte ihrer Karriere mehr geschadet hat, als man allgemein annehmen könnte. 
Das Fernsehen bzw. die Medien allgemein hatten damals viel mehr Macht als heute.

Carola hat später geheiratet und heißt heute Lüdtke. Musikalischen Erfolg hatte sie, wenn auch anders als geplant, als Autorin. So ist unter anderem der Riesenhit "Herzilein" von den Wildecker Herzbuben von ihr und alle die sich noch an den Beginn von DJ Ötzi alias Anton aus Tirol erinnern können, wissen, da gab es doch mal auch eine Frau. Richtig: Antonia mit "Ich bin viel schöner" - auch ein Titel von Carola.

Mein Resümee am Ende? Ich vergebe fünf von fünf Packungen Eis gegen Liebeskummer und würde Herrn Kliebenstein für dieses Interview gerne mit einer goldenen Zitrone bewerfen!

Manchmal ist Kritik wichtig und manchmal tut die Wahrheit weh. Die Wahrheit ist aber dann, wenn Kritik bereits weh tut, nicht so wichtig. Habt einen schönen Abend!

Donnerstag, 26. März 2020

# 8 - "Die Flamme in mir" - Venus (1989)

Ja, eigentlich habe ich mich musikalisch auf die 60er- und 70er-Jahre fokussiert. Die Betonung liegt auf eigentlich. Denn manchmal möchte man einfach Produktionen teilen, von deren Existenz man selbst überrascht ist und dann muss es einfach raus in die Welt ...

So auch heute. Ich präsentiere stolz aus der Kategorie "Coverversionen, die kein Mensch braucht" eine deutsche (!) Version des Bangles-Hits "Eternal Flame".
So viel vorweg: Nein, die Bangles haben sich glücklicherweise nicht selbst darum gerissen, diesen Hit auch in deutsch zu covern. Ende der 80er-Jahre, als zunehmend Menschen der englischen Sprache mächtig waren, musste man auch nicht jedes Lied übersetzen.

Doch ein Produzent witterte das große Geschäft und produzierte eine deutsche Coverversion mit einem dreiköpfigen Mädelsgespann, deren Identität nicht geklärt werden kann. Ob Venus eine Anlehnung an den Bananarama-Hit von 1986 (übrigens auch ein Cover, das Original stammt von der holländischen Gruppe Shocking Blue aus dem Jahr 1969), eine Anspielung, dass Frauen vom Planeten Venus kommen oder eine Abkürzung für ihre Vornamen (wie bei der von Ralph Siegel 1994 zusammengestellten Girlgroup MeKaDo) - die Veronika, Nofretete und Uschi bedeuteten könnte - ist, ist nicht überliefert.


VENUS
A: Die Flamme in mir [Eternal Flame - The Bangles] (M: Susanna Hoffs, Thomas Kelly & Billy Steinberg / dt. T: Volker Barber & Frank Setzer)
B: Say you will (M: Frank Setzer / T: Peter Griffin)

1989, White Records 112 453
produziert von Peter Griffin


Allerdings ist diese deutsche Version etwas, sagen wir mal, körperlicher ;) ... 

An dieser Stelle muss man den deutschen Textautoren zumindest ein Lob dafür aussprechen, dass sie zumindest versucht haben, die deutsche Coverversion recht nah am Original anzusiedeln - da gibt es noch ganz andere Ausnahmen, die ich demnächst hier vorstellen werde.

Komm ganz nah, leg' deine Hand auf mein Herz
Liebling, hörst du es schlagen?
Fühlst du's so wie ich?
Wie es Feuer fängt
Sag, dass ich nicht träume
Und dass die Flamme in mir ewig brennt

Da wird beispielsweise aus dem eher unspektakulären:


"I believe it's meant to be, Darling
I watch you when you are sleeping
You belong with me
Do you feel the same?"

doch glatt:


Es ist wahr, ich spüre den Drang in mir
Etwas Großes zu wagen
Was uns zwei vereint
Und den Himmel sprengt


An manchen Stellen wird es dann doch etwas kitschiger und schwammiger, obwohl es immerhin noch einen durchaus philosophischen Touch bekommt:

"Say my name
Sun shines through the rain
A whole life so lonely
And then come and ease the pain
I don't want to lose this feeling"


Daraus wird dann:
In mein Herz 

fällt ein Sonnenstrahl
Und verscheut die Schatten 
einer langen Dunkelheit
Und ich möchte ewig leben









Sag', dass ich nicht träume. Ich schwöre es, diese Single ist wirklich echt. Und bevor alle Herzen lichterloh abgefackelt sind, gibt's zur Beruhigung noch das Original.





Für diese dieses flammendes Bekenntnis gebe ich fünf von fünf Feuerlöschern!

Ich hoffe ihr spürt auch dieses innere Feuer weiter in euch brennen. Sollten die Flammen allerdings ausufern, empfehle ich einen Anruf bei der Feuerwehr. ;)

Habt einen schönen Tag und genießt die Wärme in euren Herzen, auch wenn die Liebsten gerade nicht in eurer direkten Nähe sind! Und ruft sie an oder sagt es ihnen direkt. Das macht man nämlich viel zu selten ...

Mittwoch, 25. März 2020

# 7 - "Eine Reise ins Nirwana" - Jürgen Drews (1973)

Damit nicht alle glauben, dass es nur "spezielle" Musik gibt, die von Frauen gesungen wird, hebe ich heute eine Lanze (#haha) für Jürgen Drews. Ja, den selbsternannten "König von Mallorca". Doch die wenigsten wissen, dass der 1945 geborene "Berufs-Jugendliche" vor seinem Ballermann-Gegröle, tatsächlich ein durchaus guter und ernst zunehmender Sänger war. Vor allem war er sogar ein wahnsinnig talentierter Banjo-Spieler. Heute ist er nur mehr eher wahnsinnig ... egal.
Nachdem er mit seiner Band "Die Anderen" einen Wettbewerb gewonnen hat, der zu Plattenaufnahmen führte, wurde ihm bald als Solist ein Plattenvertrag angeboten. Drews, der damals noch - neben seinem stark vernachlässigten Medizinstudium - hauptsächlich als Schauspieler in Italien arbeite, wurde bald von Les Humphries als "Pussy Puller" in seinen bunt-zusammengewürfelten Chor, den Les Humphries Singerss, gesteckt und Teil dieser Flower-Power-Erfolgsformation ("Mexico", "Mama Loo").
Seinen größten Hit landete er 1976 mit der deutschen Coverversion des Bellamy-Brothers-Hits "Let your Love flow" ("Ein Bett im Kornfeld").

Heute ist er (leider) meist in trashigen Formaten medial zu verfolgen, auch wenn man positiv feststellen muss, dass er wirklich was am Kasten hat.



JÜRGEN DREWS
A: Geh' nach Haus (M: Jürgen Drews / T: Gerd Müller-Schwanke)
B: Eine Reise ins Nirwana (M: Joachim Heider / T: Hans-Ulrich Weigel)

1973 / Warner Bros, WB 16 320
produziert von Joachim Heider

Joachim Heider war ab Mitte der 60er-Jahre eine ziemlich große Nummer im deutschen Pop-Geschäft. Teilweise verfolgte er noch parallel selbst eine eigene Gesangskarriere unter dem Pseudonym "Alfie Khan", konzentrierte sich dann aber später mehr und mehr auf das Komponieren und Produzieren deutscher SängerInnen.
So war er beispielsweise ab 1970 maßgeblich am Erfolg von Marianne Rosenberg beteiligt, schrieb ihr auch ihren ersten Song, der direkt ein Hit wurde ("Mr. Paul McCartney") - wobei bis Ende der 70er noch weitere folgen sollten ("Er gehört zu mir", "Marleen").
Weitere Hits in seiner umfangreichen musikalischen Laufbahn waren beispielsweise "Und es war Sommer" (Peter Maffay, 1976), "Dich zu lieben" (Roland Kaiser, 1981) oder "Joana" (Roland Kaiser, 1984).


Nun aber zu "Eine Reise ins Nirwana". Faszinierend muss man an dieser Stelle anmerken, dass dieser Titel für die legendäre ZDF-Hitparade ausgewählt wurde. Eine große Samstagabendsendung im zweiten deutschen Fernsehprogramm mit riesen Einschaltquote. Jürgen war bereits ein Jahr zuvor einmal zu Gast gewesen und konnte sich mit dem melancholischen "Dieser Tag hat so vieles verändert" - trotz züchtigem weißen Pullover und akkuratem Seitenscheitel - nicht platzieren.

Dann dachte man sich wohl auch: "Naja, ist ja ein ganz schmuckes Kerlchen", Hemd bis zum Bauchnabel auf, der Typ ist ja durchtrainiert und sommerbraun, der könnte auch das Telefonbuch singen ...

Doch was möchte uns Jürgen Drews mit diesem Titel sagen? Nein, es ist keine Coverversion von Nirvana und es riecht auch nicht nach "Teen-Spirit".
Möchte uns Jürgen das Tor zur göttlichen Erkenntnis näher bringen und die Wegbeschreibung zum geheimnisvollen Nirwana ins westdeutsch-gutbürgerliche Familienwohnzimmer flüstern? Oder ist es einfach nur das Ergebnis eines - eher als gescheitert zu betrachtenden - Drogentrips?

Wir werden es wohl nie erfahren. Allerdings kann man sich ja ein paar der göttlichen Zeilen noch vorher auf der Zunge zergehen lassen ...

Ich bin auf einer Reise ins Nirwana
Denn ich weiß, dass es ein Paradies noch gibt
Ich tu' alles, was ich kann, um es zu finden
Es fehlt nur noch ein Mensch, der mich liebt

Ich bin auf einer Reise ins Nirwana
Und ich gehe einen ungewissen Weg
Doch das Ziel liegt greifbar nah vor meinen Augen
Wenn nur du mit mir gehst und mich verstehst

Vielleicht liegt das mythenumworbene Nirwana aber auch in uns selbst? Das Gute liegt ja vermeintlich oft so greifbar nah und wird trotzdem sträflich missachtet. Gut. Jürgen ist klug. Wenn man es wissen will, muss man ihn schon begleiten. Aber was willst du erwarten? Schlagersänger der 70er-Jahre lebten ja auch nicht nur von Luft und Lieb... achso ... vielleicht ist es aber auch ein Plan, um das "gelobte Land" der Auserwählten zu erkunden?

Hallo, gelobtes Land, wir kommen
Ja, wir schreiben unser Gestern in den Wind
Wenn auch Wind und Wolken, Höh'n und Tiefen wechseln
Du wirst seh'n, dass wir bald glücklich sind

Wer kennt das nicht. Ein finsterer Montagvormittag und man sitzt wieder vor der weißen Raufasertapete im Wohnzimmer und schreibt bedröppelt mit grauer Farbe "das Gestern" an die Wand ... was? Achso ... in den Wind! Ja, das macht natürlich alles viel einfacher. Dann kann der Wind die traurige Botschaft gleich hinaus in die weite Welt tragen.
Wäre vielleicht auch in den aktuellen Zeiten ganz gut. So als neue Art, um miteinander in Kontakt zu treten. Scheiß auf Whatsapp, Windpaint oder so. Okay, ich sehe, das Konzept ist noch ausbaufähig.

Hallo, gelobtes Land, wir kommen
Ja, wir machen diese Welt zu unser'm Haus
Allen, die mit uns noch an die Liebe glauben,
Sagen wir: 'Gebt nicht auf, haltet aus'

Wer hätte gedacht, dass erst Corona kommen muss, um Jürgen Drews tatsächlich mal Recht zu geben.

Das Knistern eines Feuers
Der Staub auf unseren Schuhen
Und frei sein
Frei sein

Wir sind auf einer Reise ins Nirwana
Wir seh'n es schon, am fernen Horizont
Wenn du anders leben willst, als all die andern
Komm mit mir, du wirst seh'n, dass es sich lohnt 

Wer könnte dieser direkten Ansprache widerstehen? Ich jedenfalls nicht. Daher freut es mich umso mehr, dass Jürgen eben mit genau diesem Song im Fernsehen aufgetreten ist. Lassen Sie sich vom bescheidenen Versuch des Publikums, auch bei diesem Lied mitzuklatschen, nicht irritieren. Zur Verteidigung des armen Studiopublikums: Zuvor traten bereits Tony Marshall, Rex Gildo und Chris Roberts auf, die Erotik im Saal kochte und ein Stimmungshit jagte den nächsten - da kann einem schon mal die Hand ausrutschen.



Funfact am Rande: Onkel Jürgen trug bei diesem Auftritt übrigens einen Fifi, also eine Perücke. Er musste nämlich für eine Filmrolle sein wallendes Haupthaar abschneiden. Um sein Image nicht zu gefährden, kam die Plattenfirma dann auf diese Idee ... und er erzählte vor ein paar Jahren in einem TV-Interview darüber, dass ihm kurz vor seinem Gesangseinsatz noch ein Kollege durchs Haar wuschelte und das ganze Geheimnis fast gelüftet hätte.

Bei den Les Humphries verzichtete er in dieser Zeit aber großteils darauf (siehe unten stehendes Beweisfoto). Naja, so seriös gabs Jürgen Drews danach vermutlich auch nie wieder ;)


Für diese liebenswürdige Sinnfindungserfahrung vergebe ich fünf von fünf Karmapunkten!


Und nun: zurücklehnen, Augen schließen und Selbstfindungstrip starten. Nirwana liegt übrigens gleich hinterm Bernsteinzimmer. Vorm Kreisverkehr sollten Sie aber links abbiegen. Falls Sie sich verfahren haben sollten, fangen Sie einfach wieder von vorne an. Wir haben aktuell ja Zeitet. Gebt nicht auf, haltet aus. Danke, Jürgen! Bis morgen ;)

Dienstag, 24. März 2020

# 6 - "Der Schneemensch" - Madcaps (1972)

Es soll nicht so aussehen, als würde ich hier jeden Tag nur die schrecklichsten und schauderhaftesten Produktionen präsentieren. Nein. Heute gibt es sogar eine - meiner Meinung nach - besonders liebevolle Aufnahme.

Denn die Madcaps waren - wie ihr Name bereits verspricht - ein klein bisschen verrückt. Trotzdem sind sie prägend für die Entwicklung österreichischer Popmusik gewesen, da sie zu den ersten Interpreten zählten, die - professionell - im Dialekt sangen.



MADCAPS
A: Der Schneemensch (M: Georg Danzer & René Reitz / T: Georg Danzer)
B: No, na (M & T: Georg Danzer)

1972 / EMI Columbia 2E 006 33 081
produziert von René Reitz



Georg Danzer hat übrigens nicht nur zahlreiche Titel für diese Gruppe geschrieben, sondern gehörte ihr auch rund zwei Jahre selbst an - bis er mit dem legendären "Tschik" erste eigene Erfolge feiern konnte.
Davor hat er übrigens recht schöne, aber leider wenig erfolgreiche eigene Songs (im Udo-Jürgens-Stil) veröffentlicht und sehr viel für - damals - bekannte österreichische SängerInnen komponiert und getextet.


Doch kommen wir nun zum "Schneemensch". Immer schon waren die Menschen davon fasziniert, was wohl auf unserem Planeten irgendwo lebt(e) und als knapp 20 Jahre nach dieser Aufnahme der Ötzi entdeckt wurde (nicht der DJ!), war das eine große Sensation.

Die Madcaps waren in der Hinsicht bereits Pioniere und ließen ein wenig in die spezielle Lebenswelt dieser "Schneemenschen" einblicken ;) - all jene, die mit der österreichischen Sprachvarietät nicht so vertraut sind, erhalten unten stehend die "deutsche" Übersetzung:

Ich wohne am Dach der Welt
Ich lebe und brauche kein Geld
Weil ich nur ein Schneemensch bin

Die Leute, die fürchten sich
Was interessiert das mich,
Wenn ich nur ein Schneemensch bin?

Ich bin fast drei Meter groß
Dabei bin ich anspruchslos
Und es gibt rein gar nichts, was mich stört

Hier oben habe ich meine Ruhe
Und ich schau von oben zu
Wie sich unten die Menschheit schikaniert

Ich wohne am Dach der Welt
Ich lebe und brauche kein Geld
Weil ich nur ein Schneemensch bin

Ich bin etwas, dass du selten findest
Harmlos wie ein kleines Kind
Ich brauche nur (die) Kälte und (den) Schnee

Hier oben habe ich meine Ruhe
Und ich bin mir selbst genug
Jetzt seid ehrlich, wer ist da das "Weh"*?


* unter einem "Weh" wird ein Mensch verstanden, dessen Gutmütigkeit bis zum Exzess ausgereizt wird - die legendäre Wiener Gruppe "Worried Men Skiffle Group" hat mit "I bin a Weh" etwas später (1975) auf diese besonderen Menschen aufmerksam gemacht.



Parallel zu diesem Smash-Hit haben sie auch gleich noch versucht einen neuen Modetanz zu entwickeln, der auf der Rückseite des Singlecovers beschrieben wird.

Wer sich darunter jetzt absolut nix vorstellen kann (was ich in jeglicher Hinsicht verstehen kann), hat das große Glück, dass es von dieser "Performance" ein Video gibt, das ich an dieser Stelle zeigen kann:


Die Madcaps traten damit 1972 in der legendären ORF-Musiksendung "Spotlight" (die von 1968 bis 1978 lief und von Peter Rapp moderiert wurde) auf und präsentierten die ausgewählte Choreographie in obskuren Pelzmänteln (von der Oma?) in einer - nostalgisch-betrachtet - rührig naiven Bluescreen-Szenerie! (DAS war damals technisch wirklich etwas Besonderes!)

Ich vergebe fünf von fünf Nerzkappen!

Nachdem Schnee inzwischen ziemliche Mangelware ist, gibt es wohl keine "echten" Schneemenschen mehr (auch wenn sie ziemlich genügsam sind). Für langweilige Corona-Tage empfehle ich daher das Einlernen der Choreographie, falls es doch noch - klimawandelbedingt - zu einer neuerlichen Eiszeit kommt! Huh!