Montag, 30. November 2020

# 132 - "Deine Mama ist ein Wunder" - Barbara Stromberger (1974)

Ich sag es gleich vorweg: Ja, der Song wäre eigentlich für Muttertag passend, oder sagen wir mal so, ziemlich "aufg'legt" gewesen. Ich finde es aber deutlich spannender - wie ihr ja vermutlich bereits mitbekommen habt - nicht immer das zu tun, was von mir (oder allgemein) erwartet wird. In diesem Sinne passt das Lied ohnehin in unterschiedlichen Situationen vermutlich auch.




BARBARA STROMBERGER

Deine Mama ist ein Wunder (M & T: Barbara Stromberger)

1974, nicht auf Schallplatte veröffentlicht


Die 1948 in Kärnten geborene Barbara Stromberger, die mit 12 Jahren mit dem Gitarrespielen begann, absolvierte die Ausbildung zur Kindergärtnerin und betreute zwei Jahre lang geisteskranke Kinder in einem Heim. 1968 zieht sie nach Wien, besuchte die Akademie für angewandte Kunst und beginnt verstärkt auf Musik zu setzen. Das Studium brach sie ab, weil sie Geld verdienen musste und arbeitete wieder als Kindergärtnerin.
1970 beteiligt sie sich an dem von ORF und Ö3 initiierten Casting-Format, der "Show-Chance", die durch alle Bundesländer zog und ihr großes Finale im Herbst 1970 hatte. Obwohl sie mit dem Titel "Der Dreh" eher im hinteren Feld landete, erhielt sie einen Plattenvertrag. Dass sie damals - ohne vorherige Single-Produktion - mit einem Album in Deutschland (!) starten konnte, galt als Sensation.

Die Titel ihres ersten Albums waren allesamt Eigenkompositionen, die sie im Alter von 17 Jahren verfasste. Udo Jürgens äußerte dazu "Die Lieder von Barbara Stromberger sind bester Chanson-Stil. Ich beglückwünsche sie zu ihrer Phantasie und zu ihrem Mut, Themen aufzugreifen, die im deutschen Schlager sonst nicht üblich sind."
In den 70er-Jahren veröffentlicht Babara Stromberger drei Alben, von denen ich vor allem die Eigenkompositionen "Kleine Irre", "Vorsehung, Bestimmung oder Zufall?", "Ich bin frei", "Beeil' dich" und "Die gute, alte Zeit" hervorheben möchte. Beeindruckend ist ihre LP "Die zweite Zeit beginnt" von 1975, auf der sie u. a. bekannten Titeln von Neil Young, Joan Baez, Kenny Loggins, Carly Simon und Veronique Sanson ausdrucksstark in deutscher Sprache vertonte.

Barbara Stromberger ist bis heute musikalisch aktiv. Gemeinsam mit ihrem Sohn Jörg Pibal arbeitete sie beispielsweise an einer TV-Dokumentation über Hermann Hesse mit dem Titel "Name verpflichtet - Hermann Hesses Enkelin", der im August 2012 (anlässlich Hesses 100. Todestag) im ORF gezeigt wurde.

Deine Mama ist ein Wunder
Deine Mama ist enorm
Sie kann alles, sie weiß alles
Und im Falle eines Falles
Backt sie Brot aus einem Korn
Ja, deine Mama ist ein Wunder
Deine Mama ist enorm

Mama bügelt Hosenfalten
Die sich lange Zeit erhalten
Wäscht die Hemden weiß wie Kreide
Putzt die Spiegel nur mit Seide
Schont die Möbel, spart bei allem
Lässt die Bürste länger wallen
Macht der Welt den besten Kuchen
Staub wird man vergeblich suchen
Bei Mama, bei Mama, bei Mama, bei Mama, bei Mama, ja

Refrain

Mama mixt selbst Marmeladen
Tötet Mäuse, Motten, Maden
Spart mit Strom und Lippenstift
Hält Konservenkost für Gift
Färbt und legt sich selbst das Haar
Sieht am Monatsschluss noch klar
Kleidet sich in Selfmade-Roben
Könnt' zur Not auch Sümpfe roden
Die Mama, die Mama, die Mama, die Mama, die Mama, ja

Refrain

Mama sitzt mir im Genick
Und du schaffst es mit Geschick
Mich durch sie davon zu jagen
Ich kann es nicht mehr ertragen
Dir dem Haushaltsgott zu dienen
Heute zweigen sich die Schienen
Denn ich geh' fort und lass dich da
Bei Mama
Denn deine Mama ist ein Wunder
Deine Mama ist enorm


Ich weiß, dass Barbara Stromberger heute mit einigen ihrer Frühwerken relativ hart ins Gericht zieht. Aufgrund ihrer künstlerischen Entwicklung kann ich das sehr gut nachempfinden - dennoch gehört sie zu den Künstlerinnen, die sich für ihr anfängliches musikalisches Schaffen definitiv nicht verstecken müssen. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte sie ja die Möglichkeit, eigene Texte zu verfassen und so zumindest einen Teil ihres Inneren nach außen zu tragen. Wenn es auch heute - viele Jahre später - möglicherweise nicht mehr "ihre Welt" ist, verstehe ich das total. Allerdings waren ihre Texte damals authentisch und das unterscheidet sie von vielen musikalischen Sternchen und Eintagsfliegen, die ein bedeutungsschwanger-belangloses Lied nach dem anderen Trällern mussten, in der Hoffnung, dass es zumindest ein kommerzieller Erfolg wird. Hits im klassischen Sinn wurden die Lieder von Barbara Stromberger keine. Das hat manchmal auch Vorteile - so muss sie nicht seit 50 Jahren auf der Bühne die selben Titel singen.

Nun aber zu diesem Titel. Zuerst möchte ich auf die sprachlichen Aspekte eingehen. Barbara Stromberger verwendet eine äußerst bildhafte Sprache, die es schafft, mit wenigen Worten Alltagssituationen plastisch erlebbar zu machen. Viele Frauen kennen diese Situation und können es ihr bereits nach wenigen Sekunden nachfühlen, ja stärker noch, sich mit ihr identifizieren. Das Feindbild Schwiegermutter hängt wie ein Damoklesschwert über dem Ehebett und rüttelt permanent massiv am trauten Haussegen. 
Und die Schwiegertochter? Egal wie nett sie ist, wie sorgsam sie sich um Haus und Hof kümmert, wie gut sie kocht, wie gut sie die Kinder erzieht, wie erfolgreich sie im Beruf ist oder - besser noch - wie selbstlos sie ihr eigenes Leben aufgegeben hat, um den Karriereplänen ihres Mannes nicht im Weg zu stehen, sie wird nichts richtig machen. Denn sie hat einen großen Fehler gemacht: Der Mutter das Liebste, den einen, den ihren Sohn, genommen. Unaufhaltsam entfacht nun ein Kampf, der seine Opfer sucht, bei dem man - als Schwiegertochter - eigentlich nur verlieren kann. Denn Sohnemann wird sich stets für das arme, sich stets schier endlos aufopfernde Mutterherz entscheiden.
Am Ende gibt es nur wenige Möglichkeiten: Mord (pro: Schwiegermutter losgeworden, contra: Rest des Lebens hinter schwedischen Gardinen, pro: man muss sich keine Gedanken darüber machen, was man heute putzt oder kocht!), Auszug (pro: Schwiegermutter losgeworden, contra: Mann leider auch) oder bleiben und ertragen (definitiv der schlimmste Zustand!). In letzterem Fall kann man nur auf die natürliche Selektion bauen und hoffen, dass der Drache bald eines natürlichen Todes dahinsiecht ... oder im Zweifel ein bisschen nachhelfen (ideal: Gifte, die sich nicht nachweisen lassen und Unfälle, die wie selbst verschuldet aussehen). Im Zweifel bitte Handschuhe tragen und Zeugen vermeiden!

# 131 - "Einmal" - Milestones (1969)

Ich habe euch bereits im April einen meiner Lieblingssongs (# 39 "Paul") vorgestellt - da wurde es höchste Zeit, noch einen weiteren Titel der Milestones heraus zu kramen. Die Entscheidung fiel tatsächlich sehr schwer, denn die Gruppe hat zwar nicht viele Songs veröffentlicht, aber dafür ist so gut wie jeder auf seine Art doch ein sehr besonderer.



MILESTONES

A: Einmal (M: Günter Grosslercher / T: Mathias Schreiber)
B: Der Rattenfänger (M: Günter Grosslercher / T: Alfred Komarek)

1970, WM, 5009


Günter Grosslercher (* 1945) und Robert Unterweger, zwei Mathematik-Studenten im vierten Semester an der TU Wien, musizierten gemeinsam und waren auf der Suche nach einer Sängerin. Mit Beatrix Neundlinger (* 1947), die sich damals im ersten Studienjahr befand, und Rudi Tinsobin wurden schließlich 1968 die "Milestones" gegründet.
Bereits im März 1969 nahmen sie an der von ORF und Ö3 initiierten Casting-Show "Show-Chance" teil, deren ursprüngliches Ziel tatsächlich war, einen geeigneten Kandidaten für den österreichischen Beitrag zum Grand Prix d'Eurovision (= Eurovision Song Contest) zu finden. Die Milestones landeten mit dem Titel "Einmal" auf dem zweiten Platz und qualifizierten sich für das große Finale, das gemeinsam mit den Fernsehanstalten von Deutschland, Österreich und der Schweiz in Mainz abgehalten war. Dort setzten sie sich gegen alle Konkurrenten durch und landeten auf dem ersten Platz.
Kurze Zeit darauf erschien die Single "Einmal" und die erste LP.

1972 gab es größere Umbesetzungen: neu waren Christian Kolonovits (* 1952) und Norbert Niedermayer. In dieser Konstellation vertraten sie 1972 Österreich beim Grand Prix mit dem Titel "Falter im Wind" und belegten Platz 5. Bis zur Auflösung 1975 gab es noch weitere Besetzungswechsel.

Nach der Auflösung wechselten Grosslercher und Neundlinger zu den bereits arrivierten "Schmetterlingen", Niedermayer wechselte zu "Springtime" und Christian Kolonovits wurde zu einem bekannten Komponist und Arrangeur.

Weitere bekanntere Titel aus dem Schaffen der Milestones sind "Paul", "Apfelbaum", "In den neuen, besseren Zeiten" und "An diesem Freitag".


Einmal wird der Stein der Weisen weich
Einmal machen nur die Träume reich
Einmal wird der Schneemann König sein
Einmal fängt der Wind den Alltag ein

Dann wird es heißen - Klingeling
Die Welt ist nur ein Märchending
Mit einem schwarzen Nasenring

Wenn ein Hasenohr die Harfe spielt
Und ein Holzwurm auf das Eisen schielt
Wenn der Purzelbaum den Seiltanz probt
Und der Schlaue seine Dummheit lobt

Refrain

Einmal hängt die Erde fremd im Raum
Dumm wie eine Null am Schellenbaum
Einmal liegen alle Uhren schief
Einmal schreibt uns Adam einen Brief

Dann wird es heißen - schnick und schnack
Die Zeit ist nur ein Schabernack
Erst macht sie tik, dann macht sie tak
Erst macht sie tik, dann macht sie tak
Erst macht sie tik, dann macht sie tak



Das Video ist ein schönes Zeitdokument, zeigt es doch gerade diesen (ersten?) Live-Fernsehauftritt der Milestones im Finale der "Show-Chance". Moderator ist übrigens ein Ö3-Discjockey mit dem klingenden Namen "André Miriflor", aus dem später André Heller wurde.

Zugegeben: Dem geneigten Zuhörer wurde damals doch ein eher spezielles Werk aufgetischt, das zwar durch mehrstimmigen Schöngesang und ansprechendes Arrangement zu gefallen weiß, dessen Text aber definitiv als äußerst sperrig und speziell - vorsichtig ausgedrückt: dadaistisch - daherkommt.

Hat man den Wunsch, eine kohärente Geschichte zu erfahren, dann kommt man bei diesem Song nicht wirklich weit. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Autor damals so hundertprozentig eine Absicht in jeder Textzeile hatte, oder ob man einfach etwas Neues schaffen wollte (was ja per se nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein muss!).
In diesem Zusammenhang würde ich den ganzen Song als Fantasiegespinst über eine potentielle neue Weltordnung sehen, in der sich vor allem das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie Arm und Reich deutlich verschiebt ("Einmal machen nur die Träume reich - Einmal wird der Schneemann König sein").
Die zweite Strophe fällt da noch deutlicher aus dem Rahmen. Dennoch hier mein absoluter Textfavorit: "Und der Schlaue seine Dummheit lobt". Wie viel Wahrheit steckt doch in dieser Phrase ...

Und am Ende, tja, da kommt die große Erkenntnis: Was wissen wir denn eigentlich überhaupt? War alles nur Traum und Fantasie? Ist alles, worauf wir vertraut haben, vielleicht doch nur den kruden Gedankengängen eines anderen entsonnen und unserer eigene Existenz doch nicht so wichtig in der Geschichte der Menschheit oder des Planeten Erde? "Die Zeit ist nur ein Schabernack" - mehr bleibt mir in diesem Zusammenhang nicht zu sagen.

Sonntag, 29. November 2020

BONUS - "Sunday Morning" - Bertice Reading (1974)

Es ist wieder BONUS-Zeit!
Eigentlich bin ich mit diesem Song jetzt schon ziemlich spät dran, schließlich heißt er ja "Sunday Morning". Ich hätte ihn wirklich sehr gerne bereits in der Früh geposted, befand mich zu der Zeit aber noch im Reich der Träume. Dafür war aber die Nachtschicht zumindest nicht umsonst.

Einen großen Vorteil gibt es aber auch bei diesem Song: "Der nächste Sonntag kommt bestimmt" (das wusste bereits Tina York 1970. Ich würde euch empfehlen, nicht nach diesem Song zu googeln - außer ihr seid masochistisch veranlagt ...).




BERTICE READING

A: Sunday Morning (M: Danny Daniel / T: J. Jamison)
B: Lean on me (M: Danny Daniel / T: Bertice Reading)

1974, CBS, 2719


Über den Textautor konnte ich leider nichts herausfinden. Der Komponist hingegen ist der Spanier Danny Daniel, 1942 als Daniel Candón de la Campa geboren. Bekannt wurde er beispielsweise für Songs wie "This World today is a Mess" (Donna Hightower, 1973).

Bertice Reading (1933-1991) war eine amerikanische Schauspielerin und Sängerin. Große Erfolge hatte sie bereits in den 50er-Jahren in den Revuen "The Jazz Train" in Paris und im Piccadilly Theatre in London. Großen Erfolg hatte sie im Theaterstück "Requiem for a Nun", das sie 1957 am Broadway spielte und ihr auch eine Nominierung für den Tony Award einbrachte. Sie spielte in zahlreichen Revuen und Musicals, z. B. "South Pacific" oder in der Musical-Verfilmung von "Little Shop of Horrors" (1986). Sie starb im Alter von 57 in London an einem Schlaganfall.

Sunday Morning, singin' a song
... marchin' along
There's a cabin, down by the sea
Danny is waitin' for me

Sunday Morning, gettin' up late
Feel the breeze it flow on my face
Love get ready, make yourself free
Danny is waitin' for me

Early in the morning when the sun rise
I can hardly way to see
Never been so happy, never been so pleased
Going ... to find my day

Sunday Morning, honey and tea
Bake and ... is good for me
Livin' can easy, feelin' so free
Danny is waitin' for me

Sunday Morning, look to the pie
Feelin' lovely, everything's fine
... is so lovely, feels like a dream
Danny is waitin' for me






Tja, so einen Mann wie Danny lässt man nur ungern warten. Und so eine Frau wie Bertice noch weniger! Der Auftritt stammt übrigens aus der spanischen Musiksendung "Senoras y Senores" von Januar 1975.
Und eines muss man Bertice definitiv lassen: Sie hat Spaß auf der Bühne und ist sich auch für keinen noch so flachen Gag zu schade. Die Frau hat definitiv Power und Persönlichkeit - und eine riesige Portion Humor. Ich bin mir nicht sicher, ob es heute Frauen (oder auch Männer) geben würde, die nicht doch damit hadern würden, von einem Gabelstapler (!), den zwei Bohnenstangen-Hupfdohlen (!!) bedienen, hochgehoben werden. Und besagte Ladies (heute wären sie sicher prädestinierte Heulsusen-Zicken, die bereits in einer der ersten Folgen bei Germany's next Topmodel - tränenreich - ausscheiden würden) fordern Bertice anschließend noch zum offiziellen Wiegen ("The Biggest Looser" lässt grüßen) und müssen natürlich zeigen, dass eine Waage allein nicht ausreicht. Großartig, dass Bertice so viel Power hat, dass sie durch ihre Tanzeinlagen eine korrekte Messung vereitelt. 1:0!

Wenn man sich beispielsweise die drei Mädels mit Model-Figuren (deren optische Reize sehr niedrig einzustufen sind, vor allem von der rechten) in 1:38 ansieht, dann bestätigt sich wieder einmal, dass Persönlichkeit und Ausstrahlung keine Frage von Körpergewicht sind. Bertice beweist definitiv mehrfach in diesem Video wie viel Spaß und Energie sie hat und zeigt damit auch, wie sehr sie mit sich und ihrem Körper im Reinen ist.
Schade, dass man Bertice Reading im deutschsprachigen Raum ziemlich unbekannt ist - und, dass man leider so wenig Sachen von ihr online findet :(

# 130 - "Der verliebte Prinz" - Jack Grunsky (1968)

Naja, das hat ja wirklich super geklappt, mit meinem Plan jeden Tag einen Song zu veröffentlichen. Im aktuellen Fall hatte ich tatsächlich eine gute Ausrede: Arbeit. Und die wurde (überraschenderweise) nicht weniger, da in den letzten Tagen tatsächlich mehrere Aufträge eintrudelten. Wie dem auch sei, das ist euch ja eher egal, denn ihr wollt doch nur das eine, oder? Nämlich einen schönen, originellen oder skurrilen Song, der euch den zweiten Lockdown versüßt. Et voilá, hier kommt wieder einer meiner absoluten Lieblingssongs (und das schon seit einigen Jahren):


JACK GRUNSKY

A: Der verliebte Prinz [The Prince in Love is me] (M: Jack Grunsky / dt. T: Margarita Frank)
B: Oh my Love, yes my Love [Oh my Love, yes my Love] (M: Peter J. Müller / dt. T: Margarita Frank)

1968, Amadeo, AVRS 21 521

Der 1945 in Graz geborene Jack Grunsky, lebte ab 1951 in Kanada, ehe er nach seinem Schulabschluss 1966 in seine österreichische Heimat zurückkehrte, um hier seine Musiker-Laufbahn fortzusetzen. Kurze Zeit später gründete er hier seine Band ("Jack's Angels") und unterschrieb im selben Jahr einen Plattenvertrag bei der Amadeo. Gemeinsam mit den anderen drei Mitgliedern Claudia Pohl (* 1948), Christoph Oberhuber und Herbert Wegscheider, die ursprünglich aus Linz stammten und in Wien studierten, entstand bald ein umfangreiches Repertoire, das auch zahlreiche Eigenkompositionen enthielt. Bis zur Auflösung 1968 wurden vier Alben veröffentlicht und einige Singles ausgekoppelt - auch außerhalb des Alpenlandes erreichte die Gruppe, die meist durch ihren dreistimmigen Gesang beeindruckte - vielversprechende Rezensionen. 
Jack Grunsky konzentrierte sich danach auf seine Solokarriere, komponierte beispielsweise "Catherine", womit André Heller 1970 einen Hit landen konnte, und moderierte auf Ö3 die Sendung "Folk mit Jack". 1974 verließ Grunsky Österreich und lebt seither wieder in Kanada, wo er bis heute musikalisch tätig ist - aktuell vor allem im Bereich anspruchsvoller Kindermusik.
Erfolgreiche Titel von Jack Grunsky als Solist waren z. B. "Train Station Blues" (1968), "Sally McGregor" (1968) und "Back Home to Canada" (1971).

Margarita Frank, die Autorin des deutschen Textes, war die damalige Freundin von Arthur Lauber, der sich später als Mitglied der Gruppe "Misthaufen" sowie als Komponist und Arrangeur in Österreich einen großen Namen machte. Leider wurde nur eine Handvoll ihrer Texte vertont. Ihr erfolgreichster Titel ist vermutlich "Orange", der sich zuerst von Brigitte Wall (1973) und 1982 von Wilfried zu einem Hit in Österreich avancierte.

Nun aber zum Song:

Ich bin eifersüchtig auf den Wind
Der mit deinen Haaren spielt
Der dich streichelt, dir die Augen küsst
Zärtlich deine Wangen kühlt

Ich bin eifersüchtig auf den Mond
Der in sanftem Traum dich wiegt
Silbern deine Augen schimmern lässt
Sich an deinen Körper schmiegt

Sing' es laut in alle Winde
Singe laut "Ich liebe dich"
Dann ist alles wie im Märchenland
Dein verliebter Prinz bin ich

Ich bin eifersüchtig auf den Tag
Der dir entgegen lacht
Der dich stundenlang umfangen hält
Jeden Schritt von dir bewacht

Ich bin eifersüchtig auf die Nacht
Die wie Liebe dich umhüllt
Dich in ihre weichen Arme nimmt
Jeden Wunschtraum dir erfüllt

Refrain

Wiederholung Strophe 1

Refrain

Refrain

Dein verliebter Prinz bin ich
Dein verliebter Prinz bin ich
Oh, oh, Julia



Und als Special hier die Originalversion:

Just a common day it was a common sun in the sky
And a very very common sea
I was walkin' on by the Lindi Bar
And there I saw you, my Queen
In your red dress spender (?) I recognized you
For haven't seen you quite a while
What a pleasant shock
To see you on this block
What surprise to see your smile

And there ain't no time to wonder why
No there ain't no time you'll see
And all the fears a fairytale
And the prince in love is me

Well before I could up to the sound of lips
We were struggling away from the crowd
Up the narrow streets to the Schlosscafe
You can tell by my eyes I was proud

And the things she said they went to my head
And her laughter could heal anything
When she looked into my eyes and smiled
I could have kissed her again and again

Refrain

Than we went to the movies to see a fine film 
And ... was playing a ...
And her candybag was a cracklin' loud
While the romance contradicted ...

Than she had to go, I took her home
And I can still feel her tender hand
Something's force in me, to set me free
Captain Julie entering Coconut Island

Refrain

The prince in love is me
The prince in love is me
Oh, oh, Julie



Zuallererst: Ich finde beide Versionen - jede für sich - sehr schön. Vor allem beeindruckt es mich, wie absolut unterschiedlich sie in ihrer Aussage und meiner Ansicht nach in ihrer Interpretation sind.

Die deutsche Version würde ich da definitiv als eigenständiges Werk betrachten, da sie inhaltlich doch einen großen Schritt weitergeht, als das englischsprachige Original. Hier ist sich der Protagonist ja eigentlich bereits seiner Auserwählten sicher und versucht sie mit allen Mitteln vor "äußerlichen Angriffen" zu verteidigen. Und man kann es dem jungen Jack nicht verübeln, dass man durchaus zwischendurch ein kleines Schmunzeln raushört, wenn ihm die eigene Eifersucht in dem Moment bewusst wird. Aber so ist es einfach, wenn man (jung) verliebt ist.

Mir gefällt die blumige Sprache, die Margarita Frank für diesen Titel findet, die dabei hilft, klare (durchaus sinnliche) Bilder zu imaginieren, ohne sich dabei (was durchaus eine Gefahr wäre) in billigem Kitsch zu verlieren. Und man kann die Freude und Erleichterung direkt spüren, die im Refrain förmlich aus ihm heraussprudelt, wenn ihm seine Geliebte doch die magischen drei Worte zuruft. 

Ich persönlich mag vor allem diese Passage:

Ich bin eifersüchtig auf den Mond
Der in sanftem Traum dich wiegt
Silbern deine Augen schimmern lässt
Sich an deinen Körper schmiegt

- Kommen wir nun für die Rezension auch zur Betrachtung des englischsprachigen Originals. Zuallererst bin ich baff, wie viel mehr Text Jack in diesem Song unterbringt.
Nun aber inhaltlich: Die englische Version startet ein paar Schritte vorher und beschreibt einen ganz gewöhnlichen Tag (spielt übrigens in Linz) im Leben unseres Protagonisten, an dem zunächst nichts besonders oder außergewöhnlich scheint, bis ihm eine junge Frau - das erklärte Objekt seiner Begierde - über den Weg läuft und ihn anlächelt. Dieser Song widmet sich deutlich mehr der inneren Gefühlsachterbahn - zwischen Hoffen und Bangen, Mut und Übermut. Eigentlich wäre es doch ganz einfach, sie anzusprechen und am Ende wär's kinderleicht und sämtliche Ängste unbegründet. Doch so leicht ist es ja (leider) in diesen Situationen nicht. Meist arbeitet das Kopfkino viel zu stark mit und die Angst - vor allem als Mann - einen Korb zu bekommen, vereitelt so manche potentielle Liebelei. 
Doch in der zweiten Strophe erkennt man schon viel stärker, dass seine Gefühle so stark sind, dass er eh nicht mehr richtig denken kann. Ein mitunter durchaus positiver Effekt, der uns ermöglicht, unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich dadurch auch verwundbar zu zeigen.
Nach dem Kinobesuch bringt er sie noch nach Hause und dann kennen die Gefühle kein Halten mehr. In diesem Fall würde ich definitiv auf ein Happy-End zwischen ihm und Julie schließen.

Ach, das war jetzt schön. Oder fandet ihr das ein bisschen zu kitschig? Zugegeben, Liebe wie im Märchen gibt es ja heute leider nur noch selten. Tinderellas Prinz muss da schon definitiv einiges mehr auf dem Kasten haben. Das Schwert sollte aber vor dem ersten Treffen bitte doch noch gut verpackt bleiben - außer man möchte sich selbst gerne vorzeitig aus dem Rennen nehmen.

Donnerstag, 26. November 2020

# 129 - "I bin am Sand" - Heinrich Walcher (1973)

Zuallererst: Nein, bitte! Macht euch keine Sorgen über mich. Alles ist gut. Ja, wirklich. Nein, nicht so, wie wenn Frauen das sagen, dann ist nämlich gar nichts gut. (Diese wichtige Lektion können sich alle mitlesenden männlichen Leser bitte gleich merken! Ha, ihr Frauen, da schaut ihr! Ich habe euch durchschaut!) Bei mir passt aber wirklich alles. Ja, ehrlich. Ihr könnt mir glauben. 



























... Ja, wirklich!












... ich schwöre!











Gut. Ihr habt sicher schon einmal die Geschichte gehört, dass Inuits rund 100 verschiedene Wörter für Schnee haben. Das ist leider falsch, wie man inzwischen vielerorts nachlesen kann. Allerdings haben die Österreicher ungefähr 100 verschiedene Ausdrücke, um mitzuteilen, dass grad nicht alles in Ordnung ist. Von "Oasch" bis "I bin am Sand". Da einem gerade im November immer eine herrlich-morbide Tristesse um die Ohren fliegt, freut sich das österreichische Herz ein bisschen über ein paar dunkle Töne. Zudem braucht man diese Tiefpunkte, damit man sich bald wieder "richtig leiwand" fühlen kann. Für alle Neo-Österreicher: "am Sand sein" ist auch eine ziemlich perfekte Umschreibung für die Katerstimmung nach einem ordentlichen Besäufnis (vgl. "Gemma auf ans?" optional auch durch vorherige Festlegung eines bestimmten alkoholhaltigen Getränks, z. B. Bier oder Spritzer).



HEINRICH WALCHER

I bin am Sand (M & T: Heinrich Walcher)

1973, Amadeo, aus der LP "Ich male meine Welt"


Der 1947 in Wien geborene Heinrich Walcher beendete 1972 sein Malerei-Studium an der "Angewandten" als Jahrgangsbester. Die "Wiener Schule des Phantastischen Realismus", der auch sein Professor Wolfgang Hutter (1928-2014) angehörte, prägte seinen anfänglichen Kunststil.
Parallel dazu startete er auch eine Karriere als Sänger. Mit dem "Gummi-Zwerg" belegte er 1972 nicht nur den zweiten Platz beim Finale der "Show-Chance", einer österreichweiten Casting-Show, die von ORF und Ö3 initiiert wurde, sondern landete auch gleich mit seiner ersten Veröffentlichung einen Hit in Österreich. Trotz zahlreicher erfolgreicher Veröffentlichungen blieb die bildende Kunst immer sein Steckenpferd. 1977 zog er auf einen Bergbauernhof und widmete sich voll und ganz der Malerei. Seit 1999 lebt er wieder in Wien und Niederösterreich. Er ist nach wie vor musikalisch tätig.
Weitere bekanntere Titel von ihm sind "Luise", "Mimi", "Du bist der Anfang von mein End", "Rosemarie" oder "Erdbeer, Zitrone und Haselnuss".



Er is am Sand
Er is am Sand

Heit' steht vur mei'm Fenster
Da Nebel, i moch's gor net auf
I tram von lauta G'spensta
Und woch noch long net auf
Sie druck'n mi an'd Wond
Obe bis am Rand
I bin am Sand
Er is am Snad
I bin am Sand
Er is am Sand
Er is am Sand

Und mei Söl, de draht sich
Wia a Ringlgspül
I steh auf, donn platz' i
Vur mein Spiagl fürcht' i mi
I drah' mi hin zur Wond
I bin mei größte Schond'
I bin am Sand
Er is am Sand
I bin am Sand
Er is am Sand
Er is am Sand

I wor duat, wo'd Sunn scheint
Heit' steh' i im Reg'n
Und i bin mei ärgster Feind
I mecht' mi in'd Gruab'n leg'n
Fünf Ros'n in da Hond
Mit an schworz'n G'wond
I bin am Sand
Er is am Sand
I bin am Sand
Er is am Sand
Er is am Sand

Mei Schiff, des find kan Hof'n
Mi schleidert's hin und her
I hob' mei Chance verschlof'n
Z'ruck find i nimmer mehr
Ins Reg'nbog'nlond
Vur mir de schwarze Wond
I bin am Sand
Er is am Sand
I bin am Sand
Er is am Sand
Er is am Sand

Ollas, wos i g'mocht hab'
Kummt heit über mi
Wann i in mein G'wiss'n grob
Steht da Teifl vis-a-vis
Er nimmt mi bei da Hond
Und mei Söl als Pfond
I bin am Sand
Er is am Sand
I bin am Sand
Er is am Sand
Er is am Sand



Okay, ich geb's ja zu: der Titel ist wirklich vieles, aber keinesfalls lebensbejahend. Ja, das stimmt. Deshalb passt er aber auch so herrlich in den November. Diesen sonderbaren Monat, der so unentschlossen ist. Es ist kalt, aber nicht saukalt. Es gibt Nebel, aber eher noch keinen Schnee (daran ist aber auch der Klimawandel schuld!). Es wird früher dunkel, aber die Weihnachtsbeleuchtung ist noch nicht an. Damit nicht alles den Bach runtergeht, gibt es immerhin bereits Kekse.

Den Text lasse ich heute komplett für sich sprechen - ich denke die meisten von euch waren schon einmal in so einer Stimmung und möchten daran nicht noch von einem neunmalklugen Ex-Germanisten erinnert werden. Ich verspreche euch, morgen gibts dann wieder was fröhlich(eres) :D

Mittwoch, 25. November 2020

# 128 - "Peace will come again" - Simplicissimus (1974)

Ich dachte mir, dass ich wieder einmal ein Österreich-Special machen könnte. Daher bekommt ihr bis einschließlich Montag jeden Tag einen neuen (vermutlich ziemlich unbekannten) Song made in Austria serviert.




SIMPLICISSIMUS

A: Till Sunday Morning (M & T: Werner Wegen)
B: Peace will come again (M & T: Michael Kohlweis)

1974, Help Records, HAS 22 014 / Ariola, 13 392 AT
produziert von Eddy Korsche

Das Kärntner Duo "Simplicissimus" bestand aus Hermine "Mini" Erdetschnig (* 1954) und Michael Kohlweis. Als die beiden eigentlich nur als "Zugpferde" für einen lokalen Gesangswettbewerb eingespannt werden sollten, entwickelte sich alles anders als ursprünglich geplant.
Als nämlich tatsächlich erste Erfolge einsetzten, standen sie vor dem Problem, dass die Plattenfirma keine Ahnung hatte, wie sie ihre Schützlinge marketingtechnisch vermarkten könnten. Doch ihr Produzent hatte nicht damit gerechnet, dass die beiden selbst auf Promotour gehen würden und spätestens als sie die Ö3-Österreichparade gewinnen konnten, waren sie überregional bekannt. Problem nur, dass es kaum Schallplatten der beiden gab, die man jetzt verkaufen hätte können ...
1974 nahmen sie an der "Show-Chance", einem österreichweit veranstalteten Talentwettbewerb von ORF und Ö3, teil und belegten mit ihrer Eigenkomposition "Versuch' die Zeit nicht anzuhalten" den fünften Platz im Finale. Zwischen 1972 und 1976 veröffentlichten die beiden fünf Singles ("Dusty Road", "Till Sunday Morning", "Versuch' die Zeit nicht anzuhalten", "Hey, Hey, Hey, wir tanzen im Regen" und "Jet Set Lady").
Beide gründeten Anfang der 80er-Jahre die "Harlekin Company", aus der später die "Seven Hill Singers" hervorgingen. Nach der Scheidung trennten sich ihre gemeinsamen musikalischen Wege. Mini studierte Publizistik, arbeitete in einer Werbeagentur und ist inzwischen Kärntner Landesstellenleiterin der Österreichischen Vereinigung Morbus Bechterew. Michael war viele Jahre Redakteur bei der Kärntner Tageszeitung und ist nach wie vor musikalisch tätig.

Last night I had a dream - tell it to me
I don't know what it mean - tell it to me
Many people I've seen - tell it to me
Speaking oddest words

In the corner stood a man - tell it to me
Oh "War" was his name - tell it to me
And a judge went to him - tell it to me
Put him on a chain

And the people they are dancing round
Singing happy songs
They clap their hands and their voices sing loud
Peace will come again

I dream to destroy the bombs - tell it to me
Burn the uniforms - tell it to me
Forget power and might - tell it to me
And all the world was right

Someone opens the door - tell it to me
And in comes a girl - tell it to me
And suddenly she says - 
"My name is Peace"

Refrain

Peace will come again

Refrain

Peace will come again


Zugegeben: Dieser Song ist jetzt natürlich kein literarisches Meisterwerk, aber in seiner Einfachheit doch überraschend ausdrucksstark. Simpel könnte man fast meinen - und manchmal bedarf es auch gar nicht mehr, um die Leute zum Zuhören und Nachdenken anzuregen.
Mini und Michael waren - als dieses Lied entstand - Anfang 20 und die Themen, die sie beschreiben hatten mich in diesem Alter mindestens genauso bewegt.
Und so verpackten sie die alte Mär um Krieg und Frieden in einen Traum, von dem sie nicht wissen, was er bedeutet. Über Menschen die seltsames Zeug sprachen, das er nicht verstand und einen Mann namens "Krieg", der von einem Richter in Ketten gelegt wird. Diese Aktion führt dazu, dass die Leute anfingen zu tanzen, fröhliche Lieder zu singen, in die Hände zu klatschen und zu verkünden, dass der Frieden zurückkehren wird.
Was in weiterer Folge dazu führen würde, alle Bomben zu zerstören, Uniformen zu verbrennen und das ganze Spiel um Macht und Gewalt zu vergessen, damit die Welt wieder zurecht gerückt wird. Und um dieses Bild noch zu vervollständigen, kommt ein Mädchen durch die Tür und sagt, dass sie "Frieden" heißt.
Eine entzückende, heute etwas naiv anmutende, kleine Geschichte, wie für alle Menschen Frieden herrschen könnte. Verpackt in einen gut arrangierten, eingängigen Song, der mit gut harmonierenden Stimmen dargebracht wurde. Schade, dass den beiden nicht mehr Erfolg beschieden war.

Dienstag, 24. November 2020

# 127 - "Live your Life" - Gerda Berndorff (1972)

Für mich als "Jäger der verlorenen (Musik-)Schätze" ist es immer wieder mit Herzklopfen verbunden, wenn ich das erste Mal auf ein bis dato ungehörtes Lied oder ein mir unbekanntes Video stoße. So erging es mir auch gestern Abend, als ich durch YouTube streifte und nach neuen Titeln für meinen Blog Ausschau hielt (die 1.038 Songs meiner Favoriten-Playliste reichen ja nicht aus ...) und da - ganz plötzlich war es auf einmal. Ein Video zu einem Fernsehauftritt von dem ich wusste, den ich aber zuvor noch nie gesehen hatte und auch nicht im Traum daran dachte, dass er mir jemals unterkommen wird.




GERDA BERNDORFF

Live your Life (M: Richard Oesterreicher / T: Eric Spitzer)

1972, Rundfunkaufnahme mit der ORF-BigBand unter der Leitung von Karel Krautgartner


Eric Spitzer(-Marlyn), 1952 geboren, war in Österreich zuerst hauptsächlich unter seinem Vornamen bekannt. Als einer der ersten Singer-Songwriter (so würde man es zumindest heute nennen), machte der Sieger der Show-Chance 1970 mit Songs wie "Returned to Italy" (1970), "Walking round" (1970) und "I say Goodbye" (1971) auf sich aufmerksam. Ende der 70er-Jahre ließ er sich in New York nieder und begann als Tontechniker und Produzent in der Hit Factory, dem damals größten Tonstudio der Welt, zu arbeiten. Eric, der seit vielen Jahren wieder in Niederösterreich lebt, ist bis heute musikalisch aktiv und hat - gemeinsam mit seiner Frau Lisa Stern - seine musikalische Heimat gefunden.

Richard Oesterreicher (* 1932) ist einer der führenden österreichischen Jazzmusiker und Dirigenten. Ab 1976 leitete er die legendäre ORF-BigBand und dirigierte mehrfach die österreichischen Beiträge beim Grand Prix d'Eurovision (heute: Eurovision Song Contest). Oesterericher ist nicht nur als Musiker, sondern auch als Komponist in Erscheinung getreten. Eines seiner bekanntesten Werke ist - man möchte es kaum glauben - die Fußballhymne "Immer wieder Österreich".

Die heutige Interpretin ist - für mich - tatsächlich etwas Besonderes. Gerda Berndorf(f), 1940 als Elisabeth Gerda Berndorfer geboren, war eine der ersten österreichischen SängerInnen, die ich erfolgreich "ausgegraben" und getroffen habe. Unser erstes Treffen ist inzwischen über zehn Jahre her und die Gedanken daran erfüllen mich immer noch mit Freude.
Gerda Berndorf, die in Deutschland ein zweites -f anhängte, wurde von Kritikern als "österreichische Piaf" bezeichnet und war knapp 30 Jahre musikalisch aktiv. Bereits in den 60er-Jahren vertrat sie Österreich bei den legendären Songfestivals in Knokke, Sopot und Brasov.
1969 ist sie eine der ersten Teilnehmerinnen der "Show-Chance", einem von ORF und Ö3 bundesländerübergreifenden Gesangswettstreit von Nachwuchskünstlern, deren ursprüngliches Ziel es war, einen geeigneten Vertreter für den Grand Prix d'Eurovision zu finden. Das Finale wurde übrigens im ORF übertragen und von dem damals noch jungen Ö3-Moderator Andreas Miriflor (später André Heller) moderiert. 
Auch wenn sie im Finale der Show-Chance nur im Mittelfeld landete, erhielt sie kurze Zeit später einen Schallplattenvertrag bei einer deutschen Plattenfirma, die ihr nicht nur eine blonde Perücke verpassten, sondern auch zwei Singles mit ihr produzierten. Die Titel dieser beiden Singles spiegeln zumindest - in der Retrospektive - die Entwicklungen des damaligen Schlagerbussinesses wider ("Lai, lai, lai, es geht alles vorbei" und "Märchenerzähler").

1973 bekommt sie die Möglichkeit ein Album mit anspruchsvollen Chansons aufzunehmen. Aus Gerda wird Gerry - das sollte wohl internationaler klingen. Die LP "Diamanten haben keinen Hunger" wird zwar kein großer finanzieller Erfolg, zeigt aber Gerdas umfangreiches Können und ist musikalisch qualitativ auf sehr hohem Niveau. Auch heute sind die großteils zeitlosen Songs absolut hörbar (meine persönlichen Favoriten: "Ein Irrtum namens Frank" und "Ich bin ein Kind aus der Retorte").

Gerda war bis in die 80er-Jahre musikalisch aktiv. Leider gibt es nur eine Handvoll Aufnahmen von ihr. Dieser Auftritt in der spanischen Fernsehsendung "Senoras y Senores" von Januar 1975 ist ein besonders Zeitdokument und zeigt, dass sich auch österreichische Musik im Ausland nicht verstecken muss.


Please don't ask me why
Ev'rything turns upside down
People are always goin' round
Till they're lying on the ground

Please don't tell me now
People never have to die
All must said as been a lie
Built just for the youngsters' eye

Live your life, sail away
Keep on dreaming
Do not gather what I say
Keep your toy land as it is

Yes, live your life, sail away
You can change it easy
Colours always grey
Keep your toy land as it is

Still you ask me why
Ev'rything turns upside down
Now they're lying on the ground
And you hear the major sound

Refrain


Ich finde, dass das tatsächlich ein ziemlich starker Song ist, von dem man - meiner Meinung nach - niemals annehmen würde, dass er "Made in Austria" ist. Allein aufgrund des jazzigen Samba-Arrangements. Verräterisch ist nur der deutsch-anmutende Name "Gerda Berndorff". 
Soweit ich es von Gerda in Erinnerung habe, war es eine der ersten TV-Sendungen Spaniens, die in Farbe produziert wurden. Und wenn man sich die ganzen Effekte anschaut, dann haben die sich wirklich Mühe gegeben, "Show" zu liefern. Auch das "Fernsehballett" ist durchaus sehenswert! Gewisse Videotricks (z. B. die Roulette-Animation) wirken heute ziemlich verstaubt, damals muss das aber ein beeindruckender Effekt gewesen sein.
Schade, dass Gerda - die eine sehr gute Live-Sängerin war - zu Vollplayback performen musste. Dennoch verkörpert sie in diesem silbernen Kleid absolut eine Sängerin von internationalem Format. Ein absolut spannendes Zeitdokument!

Habt einen schönen Tag und haltet es wie Gerda, frei nach dem Motto "Live your Life" feierte sie vor einigen Monaten ihren 80. Geburtstag und erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit.

Montag, 23. November 2020

# 126 - "Rab-da-da-dab" - Martin Mann (1973)

Ich weiß, die anspruchsvollen Worte von Kristin Bauer-Horn gestern waren ein bisschen zu ernsthaft - vor allem an einem Sonntag. Ich gelobe Besserung für den Start in die Woche und habe sogleich ein eher dadaistisch-anmutendes prosaisch-lyrisches Musikstück ausgegraben. Wohl bekommt's!




MARTIN MANN

A: Rab-da-da-dab (M: Martin Mann / T: Jean Frankfurter & Michael Holm)
B: Goodbye Marie (M: Mal Sondock / T: Michael Holm)

1973, Decca, D 29 208
produziert von Michael Holm

Treuen LeserInnen wird der Herr auf dem Singlecover vermutlich noch von seiner glorreichen Performance einer Albert-Hammond-Coverversion in Erinnerung sein (# 14).
Martin Mann alias Mario Löprich (* 1944 in Wien) begann seine Musikkarriere 1960 mit dem Titel "Wann hast du Geburtstag?" (damals noch unter dem Pseudonym Mario Loss). Bis 1964 folgten vier weitere Schallplatten bei insgesamt drei Plattenfirmen. Er studierte Musik und nahm Schauspiel- und Tanzunterricht, ehe 1969 Michael Holm (der parallel gerade mit "Mendocino" einen Riesenhit gelandet hatte) auf den jungen Sänger mit dem Schnäuzer aufmerksam wurde und ihn unter seine Fittiche nahm.
In den Folgejahren folgten einige Hits, wie z. B. "Cecilia" (# 38, 1970), "Meilenweit" (# 8, 1971), "Heut' ist mir alles egal" (# 36, 1971), "Strohblumen" (# 41, 1977) oder "Memories" (# 69, 1980).
In dieser Zeit war er aber nicht nur als Interpret, sondern auch als Komponist und Autor tätig, so z. B. für Tony Marshall, Jürgen Marcus, Tina York, Chris Roberts, Roland Kaiser, Rex Gildo, Ingrid Peters, Nicole oder Roberto Blanco.


Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Heut' wird getanzt und geküsst wie noch nie
Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Süß ist der Wein und der geht in die Knie

Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Ich weiß ein Spiel und ich hab' Fantasie, oh
Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Bleib' noch uns ruft schon der Hahn morgen früh

Hell war das ganze Haus
Voll Musik und Tanz
Ich stand davor als ein Fremder

Da kam ein Mädchen raus
Nahm mich bei der Hand
Sagte: "Komm herein, ich lad dich ein"

Wir singen
Refrain

Mädchen, ich hab' dich gern
Deinen roten Mund
Deine gold'nen Haare

Wenn du nicht schüchtern bist
Werden wir ein Paar
Und wir singen noch so manches Jahr wie heute

Refrain

Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Ich weiß ein Spiel und ich hab' Fantasie, oh
Rab-da-da-dab, Rab-da-da-di
Bleib' noch uns ruft schon der Hahn morgen früh
 

Ob Rabdadadab und Rabdadadi ein Paar sind? Möglicherweise sind sie die Hauptdarsteller in einem ganz berühmten Bollywood-Film (vermutlich mit Shah Rukh Khan - nein, nicht Shir Khan aus dem Dschungelbuch :P).
Fraglich ist aber ob den beiden nicht besser zu raten gewesen wäre, bei der körperlichen Ertüchtigung (vgl. tanzen) auf alkoholische Beiwerke (süßen Wein) zu verzichten. Knieprobleme sind nie förderlich (am wenigsten, wenn man hauptberuflich Bollywood-Schauspieler ist). Um welches Spiel es hierbei geht, meine ich aber bereits zu erahnen. Ich nehme an, dass in diesem Fall eher Bettakrobatik eine Rolle spielt - vor allem wenn man das ländliche Ambiente (inklusive Bio-Wecker, vgl. Hahn) mit einbezieht. 

Dennoch muss man sich gewisse Phrasen dieses romantischen Songs doch genauer auf der Zunge zergehen lassen:

Hell war das ganze Haus
Voll Musik und Tanz
Ich stand davor als ein Fremder

Da kam ein Mädchen raus
Nahm mich bei der Hand
Sagte: "Komm herein, ich lad dich ein"

Das hätten wohl weder Heine noch Schiller romantischer ausdrücken können. 
Wir fassen zusammen: die Hausbesitzer müssen Geld haben, da sie die Stromrechnung bezahlen können. Indoor findet eine Party mit etwaiger Damenwahl statt, nur unser Hauptprotagonist ist zu diesem launigen Party-Happening nicht eingeladen. Glück im Unglück: Eine der Damen macht grad Rauchpause (oder muss austreten, weil indoor alle stillen Örtchen besetzt sind?) und erwischt den kleinen Knilch beim Spannen durch das Wohnzimmerfenster. Na das gibt aber ein Hallo!

Und der junge Mann kommt gleich zur Sache: Nach der braven Anführung der ins Auge stechenden Attribute (Mund, Haare), engagiert er sie gleich als Lebensabschnittspartnerin auf Dauer - aber nur unter der Voraussetzung, dass sie "nicht schüchtern" ist. Sagt genau der Richtige. Wer hat hier nochmal die Initiative übernommen, als der feine Herr zu feige war, an der Tür zu klingeln? Genau ...

Martin Mann hatte in den frühen 70er-Jahren anscheinend ein großes Faible für enge Kleidung. Auch dieses Outfit erweckt den Eindruck, als hätte man ihm die Kleider förmlich auf den Körper genäht. Hochachtung, dass hier atmen und (!) singen gleichermaßen möglich ist. Ich glaube übrigens, dass es sich tatsächlich um Hose und Weste handelt - auch wenn ich ihm durchaus einen Einteiler zutrauen würde. 
Bei 0:47 stellt man allerdings fest, dass bestimmte Dinge nicht so leicht durchführbar sind (spontanes hinsetzen beispielsweise).
Besonders schön ist der Moment, als er ganz "improvisiert" (bestimmt ...) auf die Idee kommt, eine holde Jungfer aus dem Publikum zum Tanz aufzufordern. Anscheinend hat er sich aber so aus der Fassung gegroovt, dass er bei 2:20 falsch abbiegt und dann die heiße Mieze aus der ersten Reihe holt. In Bezug auf Outfit und Frisur könnte es sich allerdings auch um seine Mutter handeln. Ich habe ja schon öfter angeführt, wie großartig ich das unrhythmische Mitklatschen in deutschen Musiksendungen dieser Zeit finde - aber wie "taktlos" besagte Dame ihr Tanzbein schwingt (und ganz ehrlich: diese Choreo ist wirklich nicht anspruchsvoll), ist einmalig! Besser hätte man es auch nicht in der Dorfdiscokaschemme von Castrop-Rauxel erleben können. Wobei mir vorkommt, dass ich kürzlich bei "Let's dance" eine ähnliche Choreographie mit Höchstpunktebewertung gesehen habe. Aber ich kann mich auch getäuscht haben, da mich die erotischen Reize von Martin ... äh ... Lady in Red doch zu sehr aus der Fassung gebracht haben. 

So, jetzt hör' ich aber auf, sonst muss ich auf FSK 18 umstellen :P

Sonntag, 22. November 2020

# 125 - "Ave Maria" - Kristin Bauer-Horn (1967)

... und schon wieder ist Sonntag. Zugegeben: Der Unterschied zwischen Werk-, Sonn- und Feiertag ist momentan relativ überschaubar, da ohnehin (fast) alles, das nicht den Beinamen "systemrelevant" trägt, geschlossen ist. Waffengeschäfte zum Beispiel. 😬 Die sind schon überlebenswichtig. Vor allem im Krieg. Ach, wir haben gerade gar keinen Krieg? Oh ... dann hab ich das wohl nicht ganz verstanden.

Vielleicht gibt euch ja der heutige Song ein bisschen Antwort darauf? Ich dachte mir, wir könnten gerade wieder ein bisschen Protest-Liedermacher aus der guten alten Zeit gebrauchen. Herrlich oder? Vor allem wenn man bedenkt, dass jede gute alte Zeit einmal eine neue schlechte war 😂




KRISTIN BAUER-HORN

Ave Maria (M & T: Kristin Bauer-Horn)

1967, Da Camera Song, LP "68 Lebensjahre und andere Chansons"


Leider finden sich nicht viele Informationen zu Kristin Bauer-Horn (* 1936 in Thüringen) nur spärliche Informationen. Als sie 1967 ihre erste LP "68 Lebensjahre und andere Chansons" veröffentlichte, war sie eine der ersten politischen Liedermacherinnen ("Chanson-Poetin" betitelte sie Max Nyffeler) in der deutschen Musikszene. Sie widersetzte sich dem Trend, so links wie möglich zu sein und sich auf eine bestimmte Art von Musik (die, die "ankam") festlegen zu lassen.
Der Traum einer Karriere als Pianistin zerplatzte bereits mit 13 Jahren - nach mehreren Sehnenscheidenentzündungen. Mit 15 widmete sie sich - mit einer Sondererlaubnis als jüngste deutsche Vollstudierende - der Malerei. Ihre erste eigenen Texte vertonte sie bereits Mitte der 50er-Jahre und erhielt bereits kurz darauf eine Sendung im Südwestfunk. Nachdem sie 1959 ihren Mann kennenlernte, folgte eine kurze Pause - bis die "Waldeck-Zeiten" begannen.
In einem Interview äußerte sie 1989, dass ihre Funktion als Liedermacherin sei, "bewusst zu machen, bewusst zu machen, bewusst zu machen! [...] Der Liedermacher hat mit seiner ganzen Person für das einzustehen, was er singt. Nur so hat er das Recht, sich der Gesellschaft gegenüber- und entgegenzustellen."
1982 wurde sie, "die unverwechselbare zeitkritische und poetische Lieder schreibt, komponiert und interpretiert, die, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, für dieses Genre Maßstäbe gesetzt hat", in Mainz mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte "Chanson" ausgezeichnet.


Veröffentlichungen:
1967 LP "68 Lebensjahre und andere Chansons" (Da Camera Song)
1983 LP "Was treibt uns um?" (Folk Freak) - als Kristin Horn
1985 LP "Einfach Lieder" (Folk Freak) - als Kristin Horn
2004 CD "Burg Waldeck Festival 1967 Chansons Folklore International" (Studio Wedemark) 
mit "Ave Maria" (1967)
2006 CD-Box "Liedermacher in Deutschland - Für wen wir singen" (Bear Family Records)
mit "68 Jahre" und "Wiegenlied"
2008 CD-Box "Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969" (Bear Family Records)
mit "Das Ameisenspiel" (1965), "Hat das Gewicht?" (1967), "Herbstlied" (1965), "Sarahs Kinder" (1967), "Trinklied" (1966) und "Und gehen nicht mehr um" (1966)



Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Tropfen
In uns're aufgesperrten Münder fallen
Und uns're Nasenlöcher ganz verstopfen
Und den Hausierer, dieses alte Schwein
Mit seinen Büstenhaltern, Strümpfen, Gürtelschnallen
Als ersten lila werden und ersticken
Aber die jungen Witwen, die rosanes stricken
Und hellblaues und ganz weit weg blicken
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Wellen
Den Dichtern auch das letzte Wort verdrecken
Und aus den Komponistenfenstern quellen
Und allen Malern vor den Staffelein
Die Blicke auf den letzten Sonnenfleck verdecken
Und uns're Musen schreiend flieh'n
Aber die Jünglinge, die durch die Felder zieh'n
Und nachts Verse schreiben
Und vor Julia knien
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Klumpen
Die Kirchen und die Glocken überrollen
Und die Reliqiuenfledderer und Lumpen
Mit ihren Säcken in den Trümmern steh'n
Und uns, die Richter, fragen, was sie hier noch sollen
Und den Hausierer als den letzten lila werden
Aber die freundlichen Worte, die uns Besseres lehren
Und seit 2000 Jahren Hosianna auf Erden
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten


In diesem Zusammenhang spare ich mir eine ausführliche Interpretation und lasse Kristin Bauern-Horn einfach "bewusst machen". Ein spannendes Zeitdokument - ohne Frage. Erschreckend, wenn ich manche Parallelen zu heute ziehen könnte ...

Zur Unterhaltung und als Ausklang der Woche biete ich hier Zugang zu zwei Dokumentationen, die sich stellenweise decken, über die legendären Musikfestivals auf der Burg Waldeck:



Schönen Start in die Woche!

Samstag, 21. November 2020

# 124 - "Manana" - Randolph Rose (1973)

"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen" - ein beliebtes Sprichwort, das allerdings im Jahr 2020 deutlich an Brisanz verloren hat. Es gab wohl selten so viel Zeit, Dinge auf morgen zu verschieben, wie in den letzten Wochen und Monaten. Und vermutlich wird das auch noch eine ganze Weile so weitergehen. Ich bleibe allerdings diszipliniert und schreibe daher ganz brav diesen Blog-Eintrag - und das schon gestern, weil ja morgen heute ist 😵



RANDOLPH ROSE

A: Hey Amigo, muchoas gracias (M: Dieter Zimmermann / T: Hans-Ulrich Weigel)
B: Manana [Manana - Bay City Rollers] (M: Alan Blaikley & Ken Howard / dt. T: Peter Orloff)

1973, Hansa, 12 420 AT
produziert von Thomas Meisel & Peter Orloff


Das Erfolgsduo Alan Blaikley (* 1940) & Ken Howard (* 1939) ist verantwortlich für Hits wie "The Legend of Xanadu" (Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, 1967) oder "I've lost you" (Elvis Presley, 1971). Darüber hinaus machten sie auch Musik für Fernsehproduktionen, wie z. B. die legendäre "Miss Marple". Mit "Manana" gelang 1972 den damals noch relativ unbekannten "Bay City Rollers" der Sieg beim Grand Prix RTL von Radio Luxemburg - ein erster Achtungserfolg in ihrer Karriere.

Randolph Rose wurde 1954 in Bamberg geboren. Vor seiner Musikkarriere hatte er bereits einige Fernsehauftritte, u. a. in "Tommy Tulpe" oder "Tanzcafé" (damals noch als Roland bzw. Ronald Rose). Mit seiner zweiten Single, der deutschen Version von "Silver Moon Baby", gelang ihm 1971 ein großer Hit, der bis auf #5 der Charts kletterte. Auch die Folge-Singles, die meist deutsche Coverversionen waren, erreichten gute Chartnotierungen: "Nur ein Flirt" (1971, #21), "Meilensteine der ersten Liebe" (1972, #42) und "Sylvias Mutter" (1972, #26). Bis Ende der 70er-Jahre veröffentlichte er noch weitere Singles. Kurzzeitig war er Mitglied der Band "Witchcraft", ehe es ruhiger um ihn wurde. Seit rund 15 Jahren veröffentlicht er wieder regelmäßig Songs (Popularität erreichte durch DSDS zuletzt der Titel "100 Jahre sind noch zu kurz für eine große Liebe"), die auch in den Schlagercharts landen.
2014 trat er bei "The Voice of Germany" in den Blind Auditions auf - leider drehte sich kein Juror für ihn um. Der nur 1,68 m große Sänger ist übrigens der Cousin von Marianne Rosenberg.
Laut Presseinformationen seiner Plattenfirma liebte er 1972 übrigens auch Steaks, Orangensaft "natur", Shirley Bassey und Angeln. (Ach, ich liebe diese Funfacts!)



Manana, Manja-na-na-na
Manana, Manja-na-na-na
Manana, Manja-na-na-na
Manana, Manja-na-na-na
Manja-na, Manja-na, oh Manana

Ein Augenpaar
So schwarz wie ihr Haar
Das lässt mir keine Ruhe mehr
Warum sagt sie nur immer wieder?

Manana, morgen ist auch ein Tag
Oh Manana, der dir das bringen mag
Oh Manana, Manana, Manana
Wovon du träumst

Im Sternenschein
Da sind wir allein
Es ist zu schön, um wahr zu sein
Aber nein, oh, oh, oh, oh, oh

Refrain

Sie hat ja recht
Es wär' sicher schlecht
Wenn sie zu früh ihr Herz verliert
Aber wer hilft mir?

Refrain


Das ist doch mal ein Song. Da bekommt man doch wirklich gleich große Lust, auf den nächsten Tag zu warten. So charmant, wie das holde Lustobjekt, den armen Randolph vertröstet. Glücklicherweise ist sie nicht der Terminator und für ihn heißt es statt "Hasta la Vista, Baby", nur "Hasta manana". Ob sie dann am nächsten Tag ihr Herz verliert und im Fundamt der Gefühle (ach, da ist sie wieder: die sonderbar-schrullige Schlager-Metapher des Tages) wieder auslöst? Wer hilft Randolph? Und vor allem: Wer hilft mir?
Der Song wäre bei einem durchschnittlichen Sänger überhaupt nicht der Rede wert, aber was Randolph, der wirklich ein talentierter Sänger ist, daraus macht, ist beeindruckend. Zugegeben: Sein Anzug (Ikea-Schleichwerbung?) sitzt extrem eng und an bestimmten Stellen (vor allem im Instrumentalteil ab Minute 1:45) der Performance wünscht man sich wirklich, das alles gut geht und vor allem die Nähte (und die Hüfte!!) halten. "Hips don't lie" würden heute wohl die zahnlosen zahllosen Groupies - in Ekstase versetzt - kreischen und ich würde ihnen tatsächlich rechtgeben. Der Hüftschwung ist beeindruckend - da würde sogar GNTM-Catwolktrainer Jorge Gonzalez, dem es normalerweise nie genug "Huuufte" sein konnte, den imaginären Hut ziehen.

In diesem Sinne: "hasta manana" ... also bis morgen!

Freitag, 20. November 2020

# 123 - "Telegramm für Angelique" - Julie Patou (1971)

So ganz hat das jetzt doch nicht geklappt, mit meiner täglichen Motivation. Aber ich gelobe Besserung. Mein großes Tönen fällt in die Kategorie "zu früh gefreut". Auch bei uns im Opernhaus ist jetzt mitten im Probenprozess der Vorhang gefallen. Auch für uns gilt jetzt die Lockdown-Phase. Diese ungeplante Pause hat aber auch Vorteile ... ich konnte z. B. mein Schlafdefizit der letzten Wochen ausgleichen und mir Gedanken über Rezepte mit Käferbohnen machen. Für alle treuen LeserInnen dieses Blogs: Den inneren Drang mein Siphon (wieder) auseinanderzunehmen und zu reinigen, habe ich bis dato noch nicht verspürt. Aber das kann ja in den Weihnachtsputz-Vorbereitungen noch kommen ... 😜


JULIE PATOU

A: Telegramm für Angelique [Envoi-moi des Télégrammes] (M: Jean Fredenucci / dt. T: Günter Loose)
B: Oui, Monsieur
 [Balade a Velo] (M: Jean Fredenucci / dt. T: Günter Loose)

1971, Hansa, 10 813 AT


Jean Fredenucci ist ein französischer Komponist und Produzent sowie ehemaliges Mitglied der "5 Gentlemen", der auch Anfang der 70er-Jahre als Solosänger in Erscheinung trat.
1970 komponierte er beispielsweise "Nue au Soleil" für Brigitte Bardot. Das ist der (für mich) prominenteste Name in seiner Vita. Ich bin im französischen Musikbusiness leider zu wenig bewandert.

Nun aber zur Interpretin und ursprünglichen Textautorin. Die Plattenfirma schrieb folgendes zur Veröffentlichung ihrer einzigen deutschsprachigen Schallplatte:

Und wieder ein neuer Frankreich-Import bei Hansa: Nach Severine will sich als nächste die 23jährige Julie Patou dem deutschen Publikum vorstellen.
Julie Patou wurde 1948 in Paris geboren. Sie besuchte nach Abschluss der Schule eine Kunstakademie und im Mai [Anmk. 1971] siedelte sie um nach Paris, um sich dort für einen Wettbewerb der Graveure vorzubereiten. Sie reichte allerdings nie etwas ein. Stattdessen schrieb Julie Novellen ...
Zwischendurch betätigte sie sich als Schaufenstergestalterin, Bühnenbildnerin, Mannequin ... zwischendurch schrieb sie wieder Novellen ...
Dann begann sie eigene Chansons zu schreiben, und sie sang sie so lange allen möglichen Leuten vor, bis man endlich entdeckte, dass es niemanden gibt, der besser singen kann als sie.
Deshalb singt sie jetzt ihre Lieder und schreibt Novellen ...

Zwischen 1970 und 1972 veröffentlicht Julie Patou-Senez drei Schallplatten in Frankreich. Einzig die zweite ("Envoi-moi des Télégrammes") erscheint auch in einer deutschen und einer spanischen Version. Nach "L'appareil mecanique" wird es still um sie. 1978 erscheint das Buch "Coca-Cola-Story", danach verschwindet sie aus der Öffentlichkeit.
Mitte der 00er-Jahre trat sie - inzwischen unter dem Namen Julie Gence - im französischen Fernsehen wieder in Erscheinung. Leider findet man heute auch keinerlei Informationen mehr über diese Aktivität von ihr. Vor rund zehn Jahren hatte ich sehr kurzen E-Mail-Kontakt mit ihr. Unüberbrückbare Sprachbarrieren waren die Ursache dafür: geringe Englischkenntnisse ihrerseits und gänzlich nicht vorhandene Französischkenntnisse meinerseits.

Nun aber zu diesem "besonderen" Lied:

Telegramm für Angelique
Für die kleine Angelique
Heut' wird sie den Pierre wiedersehen
Und ihr Kummer, der wird vergehen

Telegramm für Angelique
Nur noch ein paar Augenblicke
Und dann wird ein Traum Wahrheit werden
Der schenkt ihr den Himmel auf Erden

Oh weinte sie, denn es kam kein Brief
Und sie saß ganz allein zu Haus
Aber seit heut', da sieht die Welt
Auch für sie viel schöner aus

Denn endlich kam ein
Refrain

Sie macht sich schön, nur für ihn allein
Denn sie freut sich auf ihn so sehr
Die Einsamkeit ist nun vorbei
Die gibt es für sie nicht mehr

Denn endlich kam ein
Refrain



Nun, wie bereits erwähnt, ist mein Französisch ziemlich bescheiden. Dank Google-Translate erhalte ich aber zumindest eine grobe Ahnung, was uns Julie im französischen Original, dessen Text sie selbst verbrochen verfasst hat, uns mitteilen wollte: Während im Original noch mehrere Telegramme angefordert wurden, u. a. aus Berlin, Basel, Rom oder Louisiana und sie gerne wissen möchte, ob in Nizza gerade die Sonne scheint, muss sie sich - frisch in Deutschland angekommen - mit einem einzigen Telegramm begnügen. Und das ist dann auch gar nicht für sie! Sondern für Angelique!
Zudem ist der Text um ein vielfaches umfangreicher und klingt eher danach, als würde die Beziehung möglicherweise nicht auf Gegenseitigkeit beruhen ... kleine Stalking-Tendenzen lassen sich erkennen, wenn sie z. B. davon spricht, dass seine Nachrichten all ihre Wände zieren.
In diesem Fall wäre seinerseits viel früher ein "Stop", wie in Telegrammen üblich, in der Realität notwendig gewesen. (Für alle jugendlichen LeserInnen: Mit Telegramm ist in diesem Fall nicht der gleichnamige Nachrichtendienst gemeint. Das klassische Telegramm ist eine Art analoge SMS - damals toll, heute richtig skurril).

Die Überraschung muss auch seitens der Plattenfirma groß gewesen sein, als die Redaktion der legendären ZDF-Hitparade tatsächlich Julie als Neuvorstellung im Januar 1972 auftreten ließ, wo sie live (!) "Telegramm für Angelique" vorstellen durfte. Das ein "bis-schön frahnsöhsisches Achsendt" durchaus süß sein kann, bewies bereits France Gall eindrucksvoll. Bei Julie ließen allerdings Textdeutlichkeit und Gesangskünste doch etwas zu wünschen übrig. Vielleicht wäre es klüger gewesen, wenn sie bei Novellen geblieben wäre?

In diesem Fall ist die Passage aus dem Plattenfirma-Text eher wie eine Drohung zu verstehen: "Dann begann sie eigene Chansons zu schreiben, und sie sang sie so lange allen möglichen Leuten vor, bis man endlich entdeckte, dass es niemanden gibt, der besser singen kann als sie." - Erinnert mich ein wenig an den "Böse-Königin"-Effekt aus Schneewittchen.
Wenn ich mir deutsche Aufnahmen französischer SängerInnen aussuchen darf, dann ziehe ich auf jeden Fall Mike Brant und Francoise Hardy vor - und dann kommt erstmal lange nichts.

Auf den deutschen Text, der an Plattheit und oberflächlicher Einfallslosigkeit kaum zu überbieten ist - eine schwache Stunde von Günter Loose, der zumindest mit Titeln wie "Marmor, Stein und Eisen bricht" oder "Wunder gibt es immer wieder", große Erfolge verbuchen konnte. Der Reim "Augenblicke - Angelique" ist einer meiner persönlichen Tiefpunkte im deutschen Schlagergeschäft (und als Germanist bin ich nur knapp einem Nervenzusammenbruch entkommen).

Ach ja, auf die Performance sollte ich auch noch eingehen. Nun ja: "Sie hat sich stets bemüht", könnte man irgendwo vermerken. Leider fehlt es dann doch an Bühnenpräsenz und Show-Talent, um den schwachen Song (der auch nicht wirklich zum Mitklatschen einlädt, auch wenn sie es immer wieder versucht anzuregen) aufzuwerten. Da nützt auch das Outfit, das - warum auch immer - "Born in the USA" vermitteln soll, wenig. Es reicht nicht aus, um Julie einen Platz im deutschen Schlagergeschäft zu ermöglichen.

Habt ihr schon einmal ein Telegramm abgeschickt? Ich nicht ... geht das überhaupt noch? In Lockdown-Zeiten könnten solche altmodischen Kommunikationstechniken durchaus wieder an Popularität gewinnen. Schreibt doch einfach eine Nachricht an eine Person, von der ihr schon lange nichts mehr gehört habt. Ich bastle derweil aus leeren Bierdosen ein "Dosen-Telefon" ... ich muss mich nur noch entscheiden, wohin ich die Leitung verlege ;)