Sonntag, 22. November 2020

# 125 - "Ave Maria" - Kristin Bauer-Horn (1967)

... und schon wieder ist Sonntag. Zugegeben: Der Unterschied zwischen Werk-, Sonn- und Feiertag ist momentan relativ überschaubar, da ohnehin (fast) alles, das nicht den Beinamen "systemrelevant" trägt, geschlossen ist. Waffengeschäfte zum Beispiel. 😬 Die sind schon überlebenswichtig. Vor allem im Krieg. Ach, wir haben gerade gar keinen Krieg? Oh ... dann hab ich das wohl nicht ganz verstanden.

Vielleicht gibt euch ja der heutige Song ein bisschen Antwort darauf? Ich dachte mir, wir könnten gerade wieder ein bisschen Protest-Liedermacher aus der guten alten Zeit gebrauchen. Herrlich oder? Vor allem wenn man bedenkt, dass jede gute alte Zeit einmal eine neue schlechte war 😂




KRISTIN BAUER-HORN

Ave Maria (M & T: Kristin Bauer-Horn)

1967, Da Camera Song, LP "68 Lebensjahre und andere Chansons"


Leider finden sich nicht viele Informationen zu Kristin Bauer-Horn (* 1936 in Thüringen) nur spärliche Informationen. Als sie 1967 ihre erste LP "68 Lebensjahre und andere Chansons" veröffentlichte, war sie eine der ersten politischen Liedermacherinnen ("Chanson-Poetin" betitelte sie Max Nyffeler) in der deutschen Musikszene. Sie widersetzte sich dem Trend, so links wie möglich zu sein und sich auf eine bestimmte Art von Musik (die, die "ankam") festlegen zu lassen.
Der Traum einer Karriere als Pianistin zerplatzte bereits mit 13 Jahren - nach mehreren Sehnenscheidenentzündungen. Mit 15 widmete sie sich - mit einer Sondererlaubnis als jüngste deutsche Vollstudierende - der Malerei. Ihre erste eigenen Texte vertonte sie bereits Mitte der 50er-Jahre und erhielt bereits kurz darauf eine Sendung im Südwestfunk. Nachdem sie 1959 ihren Mann kennenlernte, folgte eine kurze Pause - bis die "Waldeck-Zeiten" begannen.
In einem Interview äußerte sie 1989, dass ihre Funktion als Liedermacherin sei, "bewusst zu machen, bewusst zu machen, bewusst zu machen! [...] Der Liedermacher hat mit seiner ganzen Person für das einzustehen, was er singt. Nur so hat er das Recht, sich der Gesellschaft gegenüber- und entgegenzustellen."
1982 wurde sie, "die unverwechselbare zeitkritische und poetische Lieder schreibt, komponiert und interpretiert, die, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, für dieses Genre Maßstäbe gesetzt hat", in Mainz mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte "Chanson" ausgezeichnet.


Veröffentlichungen:
1967 LP "68 Lebensjahre und andere Chansons" (Da Camera Song)
1983 LP "Was treibt uns um?" (Folk Freak) - als Kristin Horn
1985 LP "Einfach Lieder" (Folk Freak) - als Kristin Horn
2004 CD "Burg Waldeck Festival 1967 Chansons Folklore International" (Studio Wedemark) 
mit "Ave Maria" (1967)
2006 CD-Box "Liedermacher in Deutschland - Für wen wir singen" (Bear Family Records)
mit "68 Jahre" und "Wiegenlied"
2008 CD-Box "Die Burg Waldeck Festivals 1964-1969" (Bear Family Records)
mit "Das Ameisenspiel" (1965), "Hat das Gewicht?" (1967), "Herbstlied" (1965), "Sarahs Kinder" (1967), "Trinklied" (1966) und "Und gehen nicht mehr um" (1966)



Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Tropfen
In uns're aufgesperrten Münder fallen
Und uns're Nasenlöcher ganz verstopfen
Und den Hausierer, dieses alte Schwein
Mit seinen Büstenhaltern, Strümpfen, Gürtelschnallen
Als ersten lila werden und ersticken
Aber die jungen Witwen, die rosanes stricken
Und hellblaues und ganz weit weg blicken
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Wellen
Den Dichtern auch das letzte Wort verdrecken
Und aus den Komponistenfenstern quellen
Und allen Malern vor den Staffelein
Die Blicke auf den letzten Sonnenfleck verdecken
Und uns're Musen schreiend flieh'n
Aber die Jünglinge, die durch die Felder zieh'n
Und nachts Verse schreiben
Und vor Julia knien
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren
Dass uns're Luft zu dick zum Atmen wird
Ich seh' sie schon als schwere graue Klumpen
Die Kirchen und die Glocken überrollen
Und die Reliqiuenfledderer und Lumpen
Mit ihren Säcken in den Trümmern steh'n
Und uns, die Richter, fragen, was sie hier noch sollen
Und den Hausierer als den letzten lila werden
Aber die freundlichen Worte, die uns Besseres lehren
Und seit 2000 Jahren Hosianna auf Erden
Doch es weiß ja noch niemand außer mir
Und dem alten Soldaten


In diesem Zusammenhang spare ich mir eine ausführliche Interpretation und lasse Kristin Bauern-Horn einfach "bewusst machen". Ein spannendes Zeitdokument - ohne Frage. Erschreckend, wenn ich manche Parallelen zu heute ziehen könnte ...

Zur Unterhaltung und als Ausklang der Woche biete ich hier Zugang zu zwei Dokumentationen, die sich stellenweise decken, über die legendären Musikfestivals auf der Burg Waldeck:



Schönen Start in die Woche!

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