Dienstag, 24. November 2020

# 127 - "Live your Life" - Gerda Berndorff (1972)

Für mich als "Jäger der verlorenen (Musik-)Schätze" ist es immer wieder mit Herzklopfen verbunden, wenn ich das erste Mal auf ein bis dato ungehörtes Lied oder ein mir unbekanntes Video stoße. So erging es mir auch gestern Abend, als ich durch YouTube streifte und nach neuen Titeln für meinen Blog Ausschau hielt (die 1.038 Songs meiner Favoriten-Playliste reichen ja nicht aus ...) und da - ganz plötzlich war es auf einmal. Ein Video zu einem Fernsehauftritt von dem ich wusste, den ich aber zuvor noch nie gesehen hatte und auch nicht im Traum daran dachte, dass er mir jemals unterkommen wird.




GERDA BERNDORFF

Live your Life (M: Richard Oesterreicher / T: Eric Spitzer)

1972, Rundfunkaufnahme mit der ORF-BigBand unter der Leitung von Karel Krautgartner


Eric Spitzer(-Marlyn), 1952 geboren, war in Österreich zuerst hauptsächlich unter seinem Vornamen bekannt. Als einer der ersten Singer-Songwriter (so würde man es zumindest heute nennen), machte der Sieger der Show-Chance 1970 mit Songs wie "Returned to Italy" (1970), "Walking round" (1970) und "I say Goodbye" (1971) auf sich aufmerksam. Ende der 70er-Jahre ließ er sich in New York nieder und begann als Tontechniker und Produzent in der Hit Factory, dem damals größten Tonstudio der Welt, zu arbeiten. Eric, der seit vielen Jahren wieder in Niederösterreich lebt, ist bis heute musikalisch aktiv und hat - gemeinsam mit seiner Frau Lisa Stern - seine musikalische Heimat gefunden.

Richard Oesterreicher (* 1932) ist einer der führenden österreichischen Jazzmusiker und Dirigenten. Ab 1976 leitete er die legendäre ORF-BigBand und dirigierte mehrfach die österreichischen Beiträge beim Grand Prix d'Eurovision (heute: Eurovision Song Contest). Oesterericher ist nicht nur als Musiker, sondern auch als Komponist in Erscheinung getreten. Eines seiner bekanntesten Werke ist - man möchte es kaum glauben - die Fußballhymne "Immer wieder Österreich".

Die heutige Interpretin ist - für mich - tatsächlich etwas Besonderes. Gerda Berndorf(f), 1940 als Elisabeth Gerda Berndorfer geboren, war eine der ersten österreichischen SängerInnen, die ich erfolgreich "ausgegraben" und getroffen habe. Unser erstes Treffen ist inzwischen über zehn Jahre her und die Gedanken daran erfüllen mich immer noch mit Freude.
Gerda Berndorf, die in Deutschland ein zweites -f anhängte, wurde von Kritikern als "österreichische Piaf" bezeichnet und war knapp 30 Jahre musikalisch aktiv. Bereits in den 60er-Jahren vertrat sie Österreich bei den legendären Songfestivals in Knokke, Sopot und Brasov.
1969 ist sie eine der ersten Teilnehmerinnen der "Show-Chance", einem von ORF und Ö3 bundesländerübergreifenden Gesangswettstreit von Nachwuchskünstlern, deren ursprüngliches Ziel es war, einen geeigneten Vertreter für den Grand Prix d'Eurovision zu finden. Das Finale wurde übrigens im ORF übertragen und von dem damals noch jungen Ö3-Moderator Andreas Miriflor (später André Heller) moderiert. 
Auch wenn sie im Finale der Show-Chance nur im Mittelfeld landete, erhielt sie kurze Zeit später einen Schallplattenvertrag bei einer deutschen Plattenfirma, die ihr nicht nur eine blonde Perücke verpassten, sondern auch zwei Singles mit ihr produzierten. Die Titel dieser beiden Singles spiegeln zumindest - in der Retrospektive - die Entwicklungen des damaligen Schlagerbussinesses wider ("Lai, lai, lai, es geht alles vorbei" und "Märchenerzähler").

1973 bekommt sie die Möglichkeit ein Album mit anspruchsvollen Chansons aufzunehmen. Aus Gerda wird Gerry - das sollte wohl internationaler klingen. Die LP "Diamanten haben keinen Hunger" wird zwar kein großer finanzieller Erfolg, zeigt aber Gerdas umfangreiches Können und ist musikalisch qualitativ auf sehr hohem Niveau. Auch heute sind die großteils zeitlosen Songs absolut hörbar (meine persönlichen Favoriten: "Ein Irrtum namens Frank" und "Ich bin ein Kind aus der Retorte").

Gerda war bis in die 80er-Jahre musikalisch aktiv. Leider gibt es nur eine Handvoll Aufnahmen von ihr. Dieser Auftritt in der spanischen Fernsehsendung "Senoras y Senores" von Januar 1975 ist ein besonders Zeitdokument und zeigt, dass sich auch österreichische Musik im Ausland nicht verstecken muss.


Please don't ask me why
Ev'rything turns upside down
People are always goin' round
Till they're lying on the ground

Please don't tell me now
People never have to die
All must said as been a lie
Built just for the youngsters' eye

Live your life, sail away
Keep on dreaming
Do not gather what I say
Keep your toy land as it is

Yes, live your life, sail away
You can change it easy
Colours always grey
Keep your toy land as it is

Still you ask me why
Ev'rything turns upside down
Now they're lying on the ground
And you hear the major sound

Refrain


Ich finde, dass das tatsächlich ein ziemlich starker Song ist, von dem man - meiner Meinung nach - niemals annehmen würde, dass er "Made in Austria" ist. Allein aufgrund des jazzigen Samba-Arrangements. Verräterisch ist nur der deutsch-anmutende Name "Gerda Berndorff". 
Soweit ich es von Gerda in Erinnerung habe, war es eine der ersten TV-Sendungen Spaniens, die in Farbe produziert wurden. Und wenn man sich die ganzen Effekte anschaut, dann haben die sich wirklich Mühe gegeben, "Show" zu liefern. Auch das "Fernsehballett" ist durchaus sehenswert! Gewisse Videotricks (z. B. die Roulette-Animation) wirken heute ziemlich verstaubt, damals muss das aber ein beeindruckender Effekt gewesen sein.
Schade, dass Gerda - die eine sehr gute Live-Sängerin war - zu Vollplayback performen musste. Dennoch verkörpert sie in diesem silbernen Kleid absolut eine Sängerin von internationalem Format. Ein absolut spannendes Zeitdokument!

Habt einen schönen Tag und haltet es wie Gerda, frei nach dem Motto "Live your Life" feierte sie vor einigen Monaten ihren 80. Geburtstag und erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit.

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