Samstag, 21. März 2020

# 3 - "Ob Tel Aviv, ob Timbuktu" - Bonny St. Claire (1970)

Was macht man, wenn man das Land bzw. die Stadt bzw. die Wohnung nicht verlassen kann? Richtig! Man träumt von der weiten romantischen Ferne ... Südseeträume und Urlaubsidylle zogen bereits nach den Zeiten des Wirtschaftswunders wie ein Kassenmagnet. Fernreisen waren noch teuer, also holte man sich den Urlaub nach Hause! Und wie? Direkt über eine kleine schwarze Scheibe, besungen von InterpretInnen, die teilweise vermutlich nicht einmal wussten, wo die Traumdestinationen, die sie besangen, überhaupt geographisch liegen.
Glücklicherweise brauchte man zum Abspielen einer solchen Schallplatte aber keinen Weltatlas, sondern einfach einen ordinären Plattenspieler!

... und niemand kann besser vom Urlaub und Fernweh singen als Holländer (das wissen wir spätestens seit Rudi Carrell's "Wann wird's mal wieder richtig Sommer"...)



BONNY ST. CLAIRE
A: In der Wuppertaler Schwebebahn (M: Ralph Siegel / T: Joachim Relin)
B: Ob Tel Aviv, ob Timbuktu [Tel Aviv to Timbuctoo] (M: Miki Antony / dt. T: Karl-Heinz Reichel)

1970 / EMI Columbia C006 28 725


Ob die englische Version des Briten Miki Antony, der durchaus ein recht talentierter Komponist war, irgendwann von irgendjemandem veröffentlicht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.
Karl-Heinz Reichel hat sich leider mit weiteren literarischen Perlen dieser Art zurückgehalten. Nach "Ob Tel Aviv, ob Timbuktu" gab es nur wenig weitere Veröffentlichungen, von denen bei meiner heutigen Recherche keine mein Augenmerk besonders erhellte.

Bonny St. Claire alias Bonje Cornelia Swart (* 1949) veröffentlichte in den späten 60er- bis Mitte der 70er-Jahre zahlreiche Schallplatten in deutscher Sprache - die alle etwas gemeinsam hatten: wirkliche Kassenknüller waren nicht dabei. Und wenn man sich die Songs etwas genauer anhört, dann weiß man auch warum (zugegeben: an Bonny's Gesangskünsten lag es nicht unbedingt. Da gab es Sängerinnen mit Top10-Hits, die deutlich schlechter sangen!). Ich würde sagen, es scheiterte eher an den Songs. Ein paar Beispiele gefällig? "Kai-Uwe Schmidt", "Sugar-Boo-Boo", "Ich weiß, dass ich kein Engel bin", "In der Wuppertaler Schwebebahn", "Viele Köche verderben den Brei", "Rauchen im Wald ist verboten" oder "Der Sohn vom Bäcker aus der Bäckergasse 10". Bonny St. Claire wird sicher in den nächsten Wochen wieder zu Gast auf meinem Blog sein - so viel kann ich jetzt schon verraten.

Und irgendwann sagte sie: "Ich kann nicht hundert Jahre warten" (1969 veröffentlicht) und ließ das deutschsprachige Show-Business hinter sich. 1973 hatte sie noch zwei kleine Hits in Deutschland ("Clap your Hands" #41 und "Waikiki Man" #30 der Charts) - gemeinsam mit der Gruppe "Unit Gloria".

So! Genug gelabert. Nun kommen wir zu diesem literarischen Meisterstück!

Literarisch fackelt die liebe Bonny (die einen wirklich süßen kleinen Akzent hat) direttisima nach einem happy-peppy-flower-power Intro ("Tella-Tella-Tel Aviv, Timbuk-Timbuktoooo") nicht lange und nennt sofort ein gesellschaftliches Problem direkt beim Namen:

Jeder sagt: 'Junge Leute soll'n
zuerst hinaus in die Welt'
Keiner fragt uns, ob wir auch wolln
Und keiner gibt uns das Geld!

Ja Bonny, so ist das. Erfahrungen im Ausland zu sammeln ist schwierig, wenn das nötige Kleingeld fehlt - Erasmus hin oder her. Aber Bonny ist nicht die Greta Thunberg von 1970 die sagt, Fliegen ist scheiße und schlecht für die Umwelt, sondern sie hat ihre rosa Sonnenbrille aufgesetzt und schwelgt in den ärgsten Frühlingsgefühlen.

Ob Tel Aviv, ob Timbuktu
Das ist mir gleich, ich frag nur: 'Wo bist du?'
Ob Tokyo, ob Hildesheim
Ich will bei dir sein

In Corona-Zeiten denken das viele Menschen. Man möchte einfach nur bei seiner oder seinem Liebsten sein, da ist die räumliche Trennung ein verschärftes Problem. Glücklicherweise weiß Bonny aber offensichtlich, wo sich ihr "Sugar-Boo-Boo" befindet und muss nicht zwischen Tokyo (wäre grad nicht so praktisch) und Hildesheim (gibt es einen anderen Love-Song, in dem ein internationaler Liebeshotspot - scheiß auf Paris! - wie Hildesheim vorkommt!?).

Und dann teilt Bonny noch ihr grenzenloses Wissen über die Liebe mit uns allen:

Sagt uns doch, ob ihr's besser wisst:
Wo ist die Welt denn intakt?
Ich weiß eine, die besser ist
Die hat mein Herz mir gesagt!

Sie ist dein
Sie ist mein
Die Welt der Liebe ganz allein


Danke Bonny für diesen schmalzigen Abschluss, den man wirklich in keinerweise vorhersehen konnte (#sarcasmoff). Wie es mit Bonnys Liebesgeschichte mit Kai-Uwe Schmidt, der übrigens auch der Sohn aus der Bäckergasse 10 ist, weitergeht und warum Rauchen im Wald - nicht nur in Australien - verboten ist, erfahrt ihr demnächst hier.



Diese Scheibe bekommt von mir definitiv fünf von fünf rosa Sonnenbrillen

Ich denke währenddessen an meinen letztjährigen Urlaub in Tel Aviv zurück und frage mich, ob ich noch nach Timbuktu fahren muss, um zu wissen, dass Israel eines der spannendsten Länder war, das ich bisher bereist habe ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen