Freitag, 27. März 2020

# 9 - "Lover, Lover, Lover" - Carola (1974)

Es war zwar nicht geplant, aber deutsche Coverversionen erfüllen mich immer mit großer Begeisterung. Noch mehr, wenn sie ein spezielles Zeitdokument zur damaligen Zeit liefern.
Eine Single, die das unfreiwillig geschaffen hat, ist die folgende:



CAROLA
A: Lover, Lover, Lover [Lover, Lover, Lover - Leonard Cohen] (M: Leonard Cohen / dt. T: Hans-Ulrich Weigel)
B: Die Welt uns'rer Kinder [Inno - Mia Martini] (M: Dario Baldan / dt. T: Hans-Ulrich Weigel)

1974, Hansa 17 388 AT

Hansa-"Erfolgsautor" Hans-Ulrich "Ulli" Weigel, damals 30 Jahre alt, nahm sich der knapp 18jährigen Carola aus Berlin an. Nachdem sie in einem Folkclub entdeckt wurde, wo sie Songs zur Gitarre spielte, produzierte man mit ihr 1973 "Oh, Willy Brandt" (ja, politische Songs waren damals wie heute gefragt!).

Für die Nachfolgesingle wurde ein Cover eines populären Titels (in Deutschland sogar in der Top10) von Leonard Cohen (Überraschung! Es gibt außer "Halleluja" auch noch andere Songs von ihm!) gewählt.
Weigel, der zu dieser Zeit bereits einige erfolgreiche Produktionen verbuchen konnte, hatte z. B. mit "Ich mach' ein Interview mit deinem Herzen" (Graham Bonney, 4. Platz Dt. Schlagerwettbewerb 1970) und "Lass dir Zeit" (Marianne Rosenberg, 1973) erfolge. Sein größter Hit bis dato war aber eindeutig "Am Tag, als Conny Kramer starb" (Juliane Werding, 1972). Btw: Auch die kürzlich vorgestellte Scheibe "Eine Reise ins Nirwana" stammt aus seiner Feder.

(Weigel landete übrigens 1977 mit "Kreuzberger Nächte" der Gebrüder Blattschuss einen weiteren Hit - spannend wie unterschiedlich die thematischen Genres seiner Titel waren ...)

Mit der 1956 geborenen Carola Sakautzi (zugegeben, ein schwer zu merkender Name), die nach der Scheidung ihrer Eltern in ein Mädchenwohnheim kam, sollte nun ein neuer Stern am Schlagerhimmel geschaffen werden. Ein löblicher Versuch, der leider scheiterte. 
Carola veröffentlichte bis Anfang der 80er-Jahre noch unregelmäßig weitere Platten, teilweise auch Eigenkompositionen.

Nun aber zu "Lover, Lover, Lover":

Mein Vater fragt mich:
"Hey, sag' mal, was ist los mit dir?
Du sitzt den ganzen Tag nur hier in deinem Zimmer
und starrst auf diese Tür?"


Ich sag' "Lover Lover Lover Lover Lover Lover Lover, das liegt an dir"
Ich sag' "Lover Lover Lover Lover Lover Lover Lover, komm doch zurück zu mir"


Mein Lehrer droht, dass es demnächst mal
Ein böses Ende nimmt mit mir

Weil ich für Mathe und Geschichte und so weiter
Mich kaum mehr int'ressier'

Refrain

Meine Freundin bringt mir Platten
Ich rühr' sie gar nicht an
Weil ich die ewig gleichen Liebeslieder 
nicht mehr hören kann

Refrain

Du sprachst: "Komm in meine neue Welt"
Und ich ging mit dir
Doch es war nur ein zerfallener Tempel
Nun wach' ich auf und frier'

Refrain

Der Arzt gibt mir Tabletten
Und redet mir gut zu
Doch das Letzte was mich retten könnte
Bist ganz allein nur du

Refrain


Ja, gut. Literarisch sicher nicht nobelpreisverdächtig und ob es dem Cohen-Original entgegen kommt? (Immerhin wurde das Wort Tempel verwendet) Tatsächlich gibt es unterschiedliche Ansichten, wie der Originaltitel von Cohen zu deuten ist. Er geht auf jeden Fall existentiellen Fragen nach und ist deutlich unbequemer. Es gibt einen  sehr interessanten Artikel, der die Umstände beschreibt, in denen der Song entstand.
Aber passt das in die Welt einer knapp 18jährigen Berlinerin? Interessiert das deutsche Teens, die einfach nur Musik hören wollen? Sehr fraglich. Konnten sie aber "die gleichen ich-fühle-mich-verlassen-und-bin-unglücklich-verliebt-Lieder" vielleicht auch nicht mehr hören?




Urteilen Sie selbst. Aber bitte nicht über Carola. Die musste eh einiges über sich ergehen lassen!

Im Oktober 1975 sind Carola und Ulli Weigel in der ARD-Musiksendung "Pop 75" zu Gast. In den damaligen Zeiten sind Fernsehauftritte ein großer Ritterschlag. Doch als Carola und Weigel im Studio sitzen, ist ihnen meiner Meinung nach nicht ganz klar, was in Kürze passieren wird, nämlich, dass Carola nicht eingeladen wurde, um einen ihrer Titel zu singen.

Was dann vor laufenden Kameras geschieht, ist etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte, etwas, ja, was meiner Meinung nach am guten Geschmack ziemlich weit vorbei schrammt. Und ich spreche jetzt nicht von Carolas Platte. Sondern wie der Moderator Hals-Jürgen Kliebenstein mit ihr umgeht. Nicht vergessen: Carola ist damals noch ein junges Nachwuchssternchen, 19 Jahre alt und hat Schallplatte-Nr. 2 veröffentlicht, mit der sie sich natürlich auch ein Stück weit einen Hit erhofft hat.

Nun sind Carola und Weigel allerdings in der Rubrik der "Verleihung der goldenen Zitrone" geladen, einem Preis, der monatlich für die schlechtesten Plattenproduktionen verliehen wird. Mehrere KünstlerInnen waren dort zu Gast, die das Ganze relativ cool nahmen, sowieso nicht hinter den Platten standen oder einfach nur aus Jux und Tollerei diese Songs aufgenommen haben - die freuten sich auch über die negative Publicity und gingen wieder zum Tagesgeschehen über, frei nach dem Motto: "Schwamm drüber. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!".

Bei Carola, die "Sängerin ohne Zuhaus", wie die Bravo titulierte, sah das aber anders aus.  Hier waren die Träume und Hoffnungen wohl doch größer. Die Songs, die sie aufnahm, vielleicht doch ein Stück mehr von "ihrer" Welt, als man meinen würde.
Natürlich stand sie im Musikbusiness und das ist hart, keine Frage. Da muss man schon auch starke Nerven haben und wissen, dass man nicht überall Freunde hat. Aber zwischen mit Glacéhandschuhen anfassen und vor laufenden Kameras auseinandernehmen gibt es - meiner Meinung nach - schon auch Unterschiede.

Ich gebe ein paar Zitate wieder:

Die Begründung zur Verleihung:
"Die Umsetzung des Leonard-Cohen-Titels 'Lover, Lover, Lover" in Deutsche darf als misslungen bezeichnet werden. Der anspruchslose Text in Verbindung mit der ausdruckslosen Interpretation setzt dieses Werk auf eine niedrige Stufe der deutschen Unterhaltungsmusik. Herr Weigel hat mit dieser Produktion dem deutschen Schlager einen schlechten Dienst erwiesen."

Das Publikum applaudiert und Weigel macht das Einzige, was man in dieser Situation machen kann, er lacht darüber. Carolas Gesichtsausdruck lässt sich aber anders deuten. Gequält wirkt das Lächeln der jungen Sängerin. Sie scheint sich ein wenig, wie im falschen Film zu fühlen.
Weigel stellt sich recht souverän den Fragen des Moderators und entgegnet, dass er den Titel gar nicht schlecht findet, sonst hätte man ihn ja nicht produziert. 

Wer bestimmt den, wer "dem deutschen Schlager einen guten oder schlechten Dienst erweist"? ARD? Unterhaltungschefs? Der Mann im Mond? Es ist ja nicht so, dass er diesen Titel beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb eingereicht hat und nun Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki darüber urteilen darf.

Nun urteilt aber Kliebenstein, dass Cohen zwar auch nicht der begnadete Sänger sei, der Titel "aber von Carola mehr oder weniger so nachgesungen wird, wobei da - das ist kein Vorwurf, das ist eine Tatsache - die Persönlichkeit Leonard Cohens fehlt, das ist klar."

Besonders unangenehm empfinde ich folgende Situation. Carola musste sich das Ganze anhören, bekam zwar netterweise ein Mikro in die Hand gedrückt, sagen ließ man sie aber nichts. Als Kliebenstein nun fragt: "Carola, stehen Sie hinter diesem Titel textlich, musikalisch?" und die junge Sängerin antworten, ja sich erklären möchte: "Naja, ich steh schon etwas hinter, weil ..." unterbricht er sie nach gerade mal 3 (!!!) Sekunden und schlägt stattdessen vor, einfach die Platte abzuspielen. Ich meine, man hätte Carola auch anbieten können, den Song live zu singen. Vielleicht wäre da die Interpretation lebendiger gewesen? (Man hätte die Situation so nutzen können, Carola als talentierte Live-Künstlerin zu zeigen ...)
Weigel möchte sich noch erklären, doch Kliebenstein setzt die Nadel des Plattenspielers auf. Der halbherzige Dank Kliebensteins an seine Gäste wird mit einem sehr direkten "Tschüss" von Carola abgewehrt. Er steht auf und die Kamera fängt die beiden Künstler ein, wie sie noch einige Sekunden zur Musikeinspielung sitzen bleiben müssen.




Ja, man kann argumentieren, dass das nicht das Gelbe vom Ei war. Carola ist wohl weder musikalisch noch gesanglich mit Cohen vergleichbar, aber diese mediale Hinrichtung, war die notwendig?
Die TV-Produzenten hat's vermutlich gefreut und einige Leute haben sich im Studio und vor den Bildschirmen amüsiert. Und am nächsten Tag war alles wieder vergessen. Niemand dachte mehr an die junge Sängerin mit dem als schlecht bezeichneten Titel (der Verkauf der Platte wurde dadurch vermutlich auch nicht gerade angekurbelt!). Doch die musste aus dem Haus gehen und auf Menschen treffen - und dieser Auftritt hat sich sicher schnell rumgesprochen. Und da gab es sicher auch im Umfeld der jungen Sängerin ähnliche negative Kommentare. Und freut sich die Plattenfirma, dass man die schlechteste Platte des Monats gemacht hat? 
Wahrscheinlich nicht.

Ich habe keinen Kontakt zu Carola. Ich weiß auch nicht, wie ihre Verträge waren. Ich mutmaße nur. Nach "Lover, Lover, Lover" veröffentlichte Hansa keine weiteren Schallplatten mehr mit ihr. Und erst 1977 (!) erschien die Single "Ich waren alle Männer", allerdings bei Philips (übrigens auch in Zusammenarbeit mit und von Ulli Weigel produziert!).
Ich kann mir vorstellen, dass diese ganze Geschichte ihrer Karriere mehr geschadet hat, als man allgemein annehmen könnte. 
Das Fernsehen bzw. die Medien allgemein hatten damals viel mehr Macht als heute.

Carola hat später geheiratet und heißt heute Lüdtke. Musikalischen Erfolg hatte sie, wenn auch anders als geplant, als Autorin. So ist unter anderem der Riesenhit "Herzilein" von den Wildecker Herzbuben von ihr und alle die sich noch an den Beginn von DJ Ötzi alias Anton aus Tirol erinnern können, wissen, da gab es doch mal auch eine Frau. Richtig: Antonia mit "Ich bin viel schöner" - auch ein Titel von Carola.

Mein Resümee am Ende? Ich vergebe fünf von fünf Packungen Eis gegen Liebeskummer und würde Herrn Kliebenstein für dieses Interview gerne mit einer goldenen Zitrone bewerfen!

Manchmal ist Kritik wichtig und manchmal tut die Wahrheit weh. Die Wahrheit ist aber dann, wenn Kritik bereits weh tut, nicht so wichtig. Habt einen schönen Abend!

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