Mittwoch, 25. März 2020

# 7 - "Eine Reise ins Nirwana" - Jürgen Drews (1973)

Damit nicht alle glauben, dass es nur "spezielle" Musik gibt, die von Frauen gesungen wird, hebe ich heute eine Lanze (#haha) für Jürgen Drews. Ja, den selbsternannten "König von Mallorca". Doch die wenigsten wissen, dass der 1945 geborene "Berufs-Jugendliche" vor seinem Ballermann-Gegröle, tatsächlich ein durchaus guter und ernst zunehmender Sänger war. Vor allem war er sogar ein wahnsinnig talentierter Banjo-Spieler. Heute ist er nur mehr eher wahnsinnig ... egal.
Nachdem er mit seiner Band "Die Anderen" einen Wettbewerb gewonnen hat, der zu Plattenaufnahmen führte, wurde ihm bald als Solist ein Plattenvertrag angeboten. Drews, der damals noch - neben seinem stark vernachlässigten Medizinstudium - hauptsächlich als Schauspieler in Italien arbeite, wurde bald von Les Humphries als "Pussy Puller" in seinen bunt-zusammengewürfelten Chor, den Les Humphries Singerss, gesteckt und Teil dieser Flower-Power-Erfolgsformation ("Mexico", "Mama Loo").
Seinen größten Hit landete er 1976 mit der deutschen Coverversion des Bellamy-Brothers-Hits "Let your Love flow" ("Ein Bett im Kornfeld").

Heute ist er (leider) meist in trashigen Formaten medial zu verfolgen, auch wenn man positiv feststellen muss, dass er wirklich was am Kasten hat.



JÜRGEN DREWS
A: Geh' nach Haus (M: Jürgen Drews / T: Gerd Müller-Schwanke)
B: Eine Reise ins Nirwana (M: Joachim Heider / T: Hans-Ulrich Weigel)

1973 / Warner Bros, WB 16 320
produziert von Joachim Heider

Joachim Heider war ab Mitte der 60er-Jahre eine ziemlich große Nummer im deutschen Pop-Geschäft. Teilweise verfolgte er noch parallel selbst eine eigene Gesangskarriere unter dem Pseudonym "Alfie Khan", konzentrierte sich dann aber später mehr und mehr auf das Komponieren und Produzieren deutscher SängerInnen.
So war er beispielsweise ab 1970 maßgeblich am Erfolg von Marianne Rosenberg beteiligt, schrieb ihr auch ihren ersten Song, der direkt ein Hit wurde ("Mr. Paul McCartney") - wobei bis Ende der 70er noch weitere folgen sollten ("Er gehört zu mir", "Marleen").
Weitere Hits in seiner umfangreichen musikalischen Laufbahn waren beispielsweise "Und es war Sommer" (Peter Maffay, 1976), "Dich zu lieben" (Roland Kaiser, 1981) oder "Joana" (Roland Kaiser, 1984).


Nun aber zu "Eine Reise ins Nirwana". Faszinierend muss man an dieser Stelle anmerken, dass dieser Titel für die legendäre ZDF-Hitparade ausgewählt wurde. Eine große Samstagabendsendung im zweiten deutschen Fernsehprogramm mit riesen Einschaltquote. Jürgen war bereits ein Jahr zuvor einmal zu Gast gewesen und konnte sich mit dem melancholischen "Dieser Tag hat so vieles verändert" - trotz züchtigem weißen Pullover und akkuratem Seitenscheitel - nicht platzieren.

Dann dachte man sich wohl auch: "Naja, ist ja ein ganz schmuckes Kerlchen", Hemd bis zum Bauchnabel auf, der Typ ist ja durchtrainiert und sommerbraun, der könnte auch das Telefonbuch singen ...

Doch was möchte uns Jürgen Drews mit diesem Titel sagen? Nein, es ist keine Coverversion von Nirvana und es riecht auch nicht nach "Teen-Spirit".
Möchte uns Jürgen das Tor zur göttlichen Erkenntnis näher bringen und die Wegbeschreibung zum geheimnisvollen Nirwana ins westdeutsch-gutbürgerliche Familienwohnzimmer flüstern? Oder ist es einfach nur das Ergebnis eines - eher als gescheitert zu betrachtenden - Drogentrips?

Wir werden es wohl nie erfahren. Allerdings kann man sich ja ein paar der göttlichen Zeilen noch vorher auf der Zunge zergehen lassen ...

Ich bin auf einer Reise ins Nirwana
Denn ich weiß, dass es ein Paradies noch gibt
Ich tu' alles, was ich kann, um es zu finden
Es fehlt nur noch ein Mensch, der mich liebt

Ich bin auf einer Reise ins Nirwana
Und ich gehe einen ungewissen Weg
Doch das Ziel liegt greifbar nah vor meinen Augen
Wenn nur du mit mir gehst und mich verstehst

Vielleicht liegt das mythenumworbene Nirwana aber auch in uns selbst? Das Gute liegt ja vermeintlich oft so greifbar nah und wird trotzdem sträflich missachtet. Gut. Jürgen ist klug. Wenn man es wissen will, muss man ihn schon begleiten. Aber was willst du erwarten? Schlagersänger der 70er-Jahre lebten ja auch nicht nur von Luft und Lieb... achso ... vielleicht ist es aber auch ein Plan, um das "gelobte Land" der Auserwählten zu erkunden?

Hallo, gelobtes Land, wir kommen
Ja, wir schreiben unser Gestern in den Wind
Wenn auch Wind und Wolken, Höh'n und Tiefen wechseln
Du wirst seh'n, dass wir bald glücklich sind

Wer kennt das nicht. Ein finsterer Montagvormittag und man sitzt wieder vor der weißen Raufasertapete im Wohnzimmer und schreibt bedröppelt mit grauer Farbe "das Gestern" an die Wand ... was? Achso ... in den Wind! Ja, das macht natürlich alles viel einfacher. Dann kann der Wind die traurige Botschaft gleich hinaus in die weite Welt tragen.
Wäre vielleicht auch in den aktuellen Zeiten ganz gut. So als neue Art, um miteinander in Kontakt zu treten. Scheiß auf Whatsapp, Windpaint oder so. Okay, ich sehe, das Konzept ist noch ausbaufähig.

Hallo, gelobtes Land, wir kommen
Ja, wir machen diese Welt zu unser'm Haus
Allen, die mit uns noch an die Liebe glauben,
Sagen wir: 'Gebt nicht auf, haltet aus'

Wer hätte gedacht, dass erst Corona kommen muss, um Jürgen Drews tatsächlich mal Recht zu geben.

Das Knistern eines Feuers
Der Staub auf unseren Schuhen
Und frei sein
Frei sein

Wir sind auf einer Reise ins Nirwana
Wir seh'n es schon, am fernen Horizont
Wenn du anders leben willst, als all die andern
Komm mit mir, du wirst seh'n, dass es sich lohnt 

Wer könnte dieser direkten Ansprache widerstehen? Ich jedenfalls nicht. Daher freut es mich umso mehr, dass Jürgen eben mit genau diesem Song im Fernsehen aufgetreten ist. Lassen Sie sich vom bescheidenen Versuch des Publikums, auch bei diesem Lied mitzuklatschen, nicht irritieren. Zur Verteidigung des armen Studiopublikums: Zuvor traten bereits Tony Marshall, Rex Gildo und Chris Roberts auf, die Erotik im Saal kochte und ein Stimmungshit jagte den nächsten - da kann einem schon mal die Hand ausrutschen.



Funfact am Rande: Onkel Jürgen trug bei diesem Auftritt übrigens einen Fifi, also eine Perücke. Er musste nämlich für eine Filmrolle sein wallendes Haupthaar abschneiden. Um sein Image nicht zu gefährden, kam die Plattenfirma dann auf diese Idee ... und er erzählte vor ein paar Jahren in einem TV-Interview darüber, dass ihm kurz vor seinem Gesangseinsatz noch ein Kollege durchs Haar wuschelte und das ganze Geheimnis fast gelüftet hätte.

Bei den Les Humphries verzichtete er in dieser Zeit aber großteils darauf (siehe unten stehendes Beweisfoto). Naja, so seriös gabs Jürgen Drews danach vermutlich auch nie wieder ;)


Für diese liebenswürdige Sinnfindungserfahrung vergebe ich fünf von fünf Karmapunkten!


Und nun: zurücklehnen, Augen schließen und Selbstfindungstrip starten. Nirwana liegt übrigens gleich hinterm Bernsteinzimmer. Vorm Kreisverkehr sollten Sie aber links abbiegen. Falls Sie sich verfahren haben sollten, fangen Sie einfach wieder von vorne an. Wir haben aktuell ja Zeitet. Gebt nicht auf, haltet aus. Danke, Jürgen! Bis morgen ;)

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