Mittwoch, 15. April 2020

# 28 - "David und Goliath" - WIR (1972)

Heute gibts etwas ganz Besonderes auf die Ohren. Nachdem Drafi Deutscher Anfang der 70er-Jahre nicht mehr ganz an seine früheren Erfolge ("Marmor, Stein und Eisen bricht") anknüpfen konnte und seine Karriere einen starken Knick erleidete (nachdem er 1967 in alkoholisiertem Zustand von einem Balkon auf die Straße uriniert hatte), verschwand er zunächst von der Bühne. Er widmete sich anderen KünstlerInnen und arbeitete unter zahllosen Pseudonymen im Hintergrund. 
Eines dieser Studioprojekte, "WIR", schlug derart ein, dass Anfragen für Fernsehauftritte eintrafen. Schnell musste aus einem Teil der StudiosängerInnen und weiteren Personen aus Drafis Dunstkreis eine fernsehtaugliche Gruppe formiert werden.

Das Besondere an dieser Gruppe war das Genre, in dem sie sich bewegten: Sacropop (also christliche Popmusik ... quasi deutscher Gospel). Was in anderen Nationen und Sprachen funktioniert, muss doch im Deutschen auch gehen, oder?




WIR
A: David und Goliath (M & T: Jack Goldbird = Drafi Deutscher & Hans Georg Moslener)
B: Jerusalem [Pop Concert - Pop Concert Orchestra] (M: Paul de Senneville & Olivier Toussaint / dt. T: Jack Goldbird & Hans Georg Moslener) 

1972, Metronome, M 25 445


Hier nun der glorreiche Text. Wie schade, das diese christlich-fröhliche Popmusik nicht öfter durch klerikale Hallen dröhnt. Möglicherweise hätte das so manche sonntägliche Kirchenbank aus allen Nähten platzen lassen (wenn alle gecheckt haben, wie cool "Godfather in the house" ist).


David und Goliath
Welch eine große Tat
David, der war so klein
Doch nur mit einem Stein
Traf er genau ins Ziel
Sodass der Riese fiel
David schlug Goliath
Durch unser'n Herrn

Wer von euch es wagt
Kämpft mit Goliath
Der Riese war so laut
Das alles sofort erschrak

Alle rannten fort
Keiner blieb am Ort
Nur einer hatte Mut
Denn er glaubte an den Herrn

Refrain

David nahm kein Schwert
Das war ihm nichts wert
Fünf Sterne nahm er nur
Und ging auf den Riesen zu

Als der Riese sah
Wer der Kämpfer war
Hat er ganz laut gelacht
Schrie: "Du, wer bist denn du?"

Refrain

Sieger durch die Kraft
Die der Himmel schafft
Der Starke ist nur stark
Wenn es unser Herr so will

Die Geschichte lehrt
Es ist gar nichts wert
Wenn man ein Riese ist
Dem der Glaube aber fehlt

Refrain


Über den Text schweige ich mich aus. Da bin ich tatsächlich ziemlich enttäuscht, ob der einfallslosen Einerleireimerei. 

Das war eine ziemlich revolutionäre Idee, den Religionsunterricht in das deutsche Kinder- und Jugendzimmer zu transportieren und den "vom Weg abgekommenen Teenies" den "coolen" Glauben zurückzubringen und ihnen ein bisschen was von der "holy message" zu überbringen. Tja. Was bei den Les Humphries Singers ganz gut funktionierte - man kann wirklich darüber staunen wie ausführlich der "Lord" in den frühen 70er-Jahren "gepraised" wurde - verfehlte seine Wirkung in der deutschen Sprache ziemlich, weshalb das Wir-Projekt schließlich 1973 wieder ad-acta gelegt wurde. Schade! (Oder Gott sei Dank ... das Alte und Neue Testament hätten sicher noch den einen oder anderen schmissigen Dance-Party-Song parat gehabt)

("Jesus cried on the day that the died" kann man halt auf englisch auch besser grölen, wenn man nicht so genau versteht, was es exakt bedeutet!)




Foto: ?, Pete Rainford, Christa Zalewski, Claudia Gorden, ?, Mulle Deutscher und Wolfgang Pliverits 

Mitglieder, dieser von 1971 bis 1973 aktiven Gruppierung waren:

- Christa Zalewski (* 1946; Duett mit Mann Pete; solo als Peggy Peters, Julie Winters und Tina Rainford -> Hit "Silver Bird" 1976)
- Claudia Gorden-Nowy (Solo als Claudia Gorden von 1969-1973, danach hauptsächlich Backgroundsängerin)
- Richard "Drafi" Deutscher (1946-2006; größter Hit "Marmor, Stein und Eisen bricht" 1965)
- Günther Bayer (Solo als Gary Christian von 1971-1974)
- Karin "Mulle" Deutscher (Drafis erste Ehefrau von 1966-1976)
- Peter "Pete" Rainford (Ehemann von Christa)
- Peter Schlaper (Solo 1972-1973)
- Wolfgang Pliverits (* 1941, Solo als Tom Schütt und Norman Ascot, Texter/Komponist)


Auftritt in der ZDF-Musiksendung "Disco" mit dabei
(v.l.n.r.) Claudia, Norman, Pete, Tina, Drafi und Mulle

Die genaue Anzahl an Muppets, die für Claudias Jacke ihr Leben lassen mussten, ist nicht überliefert. Es wird aber von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen.


Ein Auftritt im Film "Blau blüht der Enzian" - hier sind Drafi, Mulle, Tina, Norman, Pete und Peter (sowie einige StatistInnen) zu sehen.


Tinas Latzhose ist so unvorteilhaft geschnitten, dass es so aussieht, als würden ihr permanent die Beine "durchknicken". Aber immerhin versuchte man eine steile Choreographie zu liefern ;)
Es wirkt ein bisschen so, als wäre es bereits Take 732. Während Tina vor nie enden wollender Begeisterung und Gottesglückseligkeit nur so sakral vor sich hin sprüht, wirkt Mulle im blauen Oberteil nicht mehr ganz so bei der Sache und gestaltet die Anmerkung "ein Stein" mit dem minimalsten Aufwand :D


Drafi stand ab den 80er-Jahren wieder verstärkt selbst auf der Bühne. Seine größten Hits als Komponist/Texter waren "Silverbird" (Tina Rainford, 1976), "Fly away pretty Flamingo" (Peggy March, 1977), "Mama Leone" (Bino, 1978), "Belfast" (Boney M., 1977) sowie 1983 "Guardian Angel", das im deutschsprachigen Raum als "Jenseits von Eden" ein Riesenhit für den jungen Nino de Angelo wurde.


Für diesen "Sacropop"-Song vergebe ich fünf von fünf Steinen sowie zwei Vater-Unser, drei Ave-Maria und zwei Rosenkränze.

In schwierigen Zeiten kann einem der Glaube helfen. An Gott. An die Wissenschaft. An die Liebe. An die Menschheit. Oder an die nie enden wollende Anzahl skurriler Songs. Hallelujah!

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