Freitag, 3. Juli 2020

# 106 - "Zahnschmelzfreundlich" - Marcel (1971)

Leere Werbeversprechen und Konsumzwang. Zwei unliebsame Nebenerscheinungen unserer schnelllebigen, vernetzten Zeit. Das dies aber vor fast 50 Jahren auch nicht viel besser war, illustriert der heutige Song.



MARCEL
A: Zahnschmelzfreundlich (M & T: Marcel Schaar)
B: Sonnenstrahlen (M & T: Marcel Schaar)

1971, BASF, 05 10153-8


Marcel wurde 1946 als Wolfgang Schaar in Winsen an der Luhe geboren. Mitte der 60er-Jahre macht er vor allem als Sänger von Folk und Folklore von sich reden. Er trat mit musikalischen Größen wie Joan Baez, Donovan, Michel Polnareff sowie Simon & Garfunkel auf. Die Einnahmen aus Auftritten im legendären Hamburger Star-Club (wo zuvor bereits die Beatles auftraten!)  spendet er an contergankranke Kinder. Den Großteil seiner Lieder schreibt er selbst. 1967 veröffentlicht er seine erste Single ("Wer weiß, wohin der Wind mich weht"). Acht Monate steht er 1969 in Hamburg und Düsseldorf als "Claude" in der deutschen Version des Musicals "Hair" auf der Bühne.
Mit seiner zweiten Single ("Zahnschmelzfreundlich") macht sich der Haupt- und Realschullehrer über die Werbung und den damit verbundenen Massenkonsum lustig.  Bis 1980 folgen noch eine weitere Single und ein Album.
Marcel ist bis heute musikalisch aktiv.


"Ja?"
Jeden Morgen um halb sieben
Weckt mich das Fräulein vom Amt
Ich frage gähnend: "Wo ist die Zeit geblieben?"
Und dann fällt mir der Hörer aus der Hand

"Bei diesem Ton ist es 6 Uhr 30 Minuten und 11 Sekunden"

Ich putze meine ultraweißen Zähne
Mit zahnschmelzfreundlichem Präparat
Ja, sie macht schon Spaß die Hygiene
Wenn man das nötige Kleingeld dafür hat

Sekunden später sitz' ich schon im Käfer
Mit Anzug, Fliege und mit Hut
Dann schimpf' ich auf die Ampelschläfer
Doch eine Stimme in mir flüstert: "Ruhig Blut!"

In der Firma ist bald Frühstückspause
Ich trinke einen röstfrischen Kaffee
Um elf träum' ich von meinem Bett zu Hause
Ja Arbeit, Arbeit, das tut weh

Um halb fünf ist der Arbeitskampf zu Ende
Ermattet steige ich ins Auto ein
Zu Hause wasch' ich zitternd nochmal Hände
Ja und dann, dann schlaf' ich wieder ein

Am nächsten Morgen wieder um halb sieben
Weckt mich das Fräulein vom Amt
Ich frage gähnend: "Wo ist die Zeit geblieben?"
Und dann fällt mir der Hörer aus der Hand




So viel hat sich eigentlich gar nicht geändert. Wenn man davon absieht, dass die Zeitansage leider unbemerkt einen leisen einsamen Tod gestorben ist und deutlich weniger VW-Käfer auf den Straßen zu sehen sind. Mit dem Rest kann ich mich schon ganz gut noch immer identifizieren. Träumst du auch gerade wieder von deinem Bett? Immerhin ist bereits Freitag, d. h. das Wochenende steht vor der Tür. Solltest du also das Glück haben, einer Tätigkeit mit geregelten Arbeitszeiten nachzugehen, dann kannst du immerhin zwei Tage ausschlafen - außer du hast minderjährige MitbewohnerInnen oder Tiere oder PartnerInnen, die dir dies vermiesen. Dann empfehle ich dir, diese mit zahnschmelzfreundlichem Präparat ruhigzustellen. Falls es nicht funktioniert? Hallstatt soll gerade ziemlich nett und menschenfrei sein ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen