Donnerstag, 16. Juli 2020

# 112 - "Was ist das Ziel?" - Alexandra (1968)

Gut. Ich habe meinen Vorsatz meine liebsten Songs made in Austria zu posten, gerade wieder verworfen, da mir gerade dieses Lied wieder unter kam.



ALEXANDRA
A: Sehnsucht (M: Rudi Bauer / T: Fred Weyrich)
B: Was ist das Ziel? [Les Ballons roughes - Serge Lama] (M: Serge Lama / dt. T: Fred Weyrich)

1968, Philips, 384 504 PF
produziert von Fred Weyrich



Alexandra wurde 1942 in Heydekrug als Doris Treitz geboren. Nach der Evakuierung des Memellandes 1944 und anschließender Flucht vor der Roten Armee kam ihre Familie zunächst nach Sachsen und anschließend nach Kiel, wo sie die Volksschule und das Gymnasium besucht. Sie lernte die Gitarre und Klavier und begann früh eigene Lieder und Gedichte zu schreiben. Zwei Jahre vor dem Abitur brach sie die Schule ab, um Modedesignerin zu werden. Sie begann ein Grafikstudium und schlug sich mit mehreren Gelegenheitsjobs über Wasser. 1961 zog sie mit ihrer (inzwischen geschiedenen) Mutter und einer Schwester nach Hamburg, wo sie die Meisterschule für Mode besuchte. 1962 nahm sie an der Miss-Germany-Wahl teil und belegte Platz neun. In Hamburg lernte sie auch ihren späteren Ehemann, den Russen Nikolai Nefedov (1912-1989), kennen, der bei ihnen zur Untermiete wurde. Im Juni 1963 wird ihr gemeinsamer Sohn Alexander geboren. Die Pläne, gemeinsam nach Amerika auszuwandern, werden verworfen, nachdem die Ehe scheitert.
Alexandra versuchte, ihr Studium zu beenden und arbeitete nebenbei als Zeichnerin. Nach dem Abschluss der Schauspielschule erhielt sie ein Engagement an einem Theater in Neumünster und nahm Gesangsunterricht. Produzent Fred Weyrich wurde schließlich auf die Folklore-Sängerin mit der tiefen Stimme aufmerksam und gemeinsam mit Manager Hans R. Beierlein wurde versucht, Alexandra zum Star aufzubauen und ihr ein Image zu geben, dass bisher am deutschen Schlagermarkt noch nicht verbreitet war: Russland.
1967 gab sie ihr Schallplattendebüt - nicht mit einer Single, wie sonst üblich, sondern mit einem ganzen Album: "Premiere mit Alexandra". Die ausgekoppelte Single "Zigeunerjunge" erreichte #22 der deutschen Charts. Ihr größter Hit wurde "Sehnsucht" (#12), ein Titel, der ihr selbst überhaupt nicht gefiel. Bereits nach kurzer Zeit hatte die vielseitige Künstlerin, die auch selbst komponierte und textete, genug auf slawisch-folkloristische Schlager reduziert zu werden. Sie suchte Kontakt zu französischen Chansonnieres wie Salvatore Adamo und Gilbert Bécaud und übertrug einige ihrer Titel in deutsche Sprache. Eine enge Freundschaft entstand mit Udo Jürgens, die gemeinsam 1968 den Titel "Illusionen" (#38) herausbrachten. Anfang 1969 zog Alexandra nach München und verlobte sich mit Pierre Lafaire.

Am 31. Juli 1969 fuhr Alexandra mit ihrem Sohn und ihrer Mutter von Hamburg Richtung Sylt in den lange geplanten Urlaub. Beim Überqueren einer Kreuzung in Tellingstedt kollidiert ihr Fahrzeug mit einem Lastwagen. Das Fahrzeug wurde schwer beschädigt, Alexandra starb 27jährig noch am Unfallort, ihre Mutter wenig später im Krankenhaus. Der auf der Rückbank schlafende sechsjährige Alexander wurde nur leicht verletzt.

Neben den bereits erwähnten zählen zu ihren bekanntesten Titeln "Erstes Morgenrot", "Aus", "Mein Freund der Baum", "Der Traum vom Fliegen" oder "Schwarze Balalaika".


Nun zum heutigen Song:

Es ist November und der Regen
Kriecht durch die Kleider auf die Haut
Ich geh' alleine auf den Wegen
Die mir vom Sommer her vertraut

Wem wohl die kalten Tage nützen
Was gestern lebte, ist heut' taub
Und in den schmutzig grauen Pfützen
Ertränkt der Bäume welkes Laub

Was ist das Ziel in diesem Spiel
Das der Natur seit je gefiel?

An ein paar Zweigen hängen Blätter
Die heute Nacht der Wind vergaß
Den Pavillon versperren Bretter
Wo manches Liebespärchen saß

Sogar die Nester in den Bäumen
Sind ohne Leben ohne Sinn

Und mir alleine bleibt das träumen
Weil ich ein Mensch mit Träumen bin

Was ist das Ziel in diesem Spiel
Das der Natur seit je gefiel?

Ich bin auf einmal so alleine
Wo ist das Glück, das hier begann?
Die kahlen Bäume und die Steine
Die schau'n mich durch den Regen an

Ich suche oben in den Sternen
Ein wenig Trost für mein Geschick
Doch der, der Trost sucht, sollte lernen
Er ist vergänglich wie das Glück

Was ist das Ziel in diesem Spiel
Das der Natur seit je gefiel?

Doch aus Verzweiflung wächst das Hoffen
Das uns die Kraft zum Atmen schenkt
Zwar bleiben viele Wünsche offen
Weil irgendwer das Schicksal lenkt

Solange hier bei uns auf Erden
Man einen Hauch von Leben spürt
Sorgt dieses Schicksal für das Werden
Und gibt das Glück, dem Glück gebührt

Das ist das Ziel in diesem Spiel

Das der Natur seit je gefiel



Zum Vergleich das Original von Serge Lama



Und hier die absolut sehenswerte Dokumentation "Alexandra - Die Legende einer Sängerin" von Marc Boettcher aus dem Jahr 1999.

Um Alexandras Tod ranken sich zahlreiche Mythen. Drohungen, Vorahnungen und dubiose Vorfälle. Alexandra verfasste vor ihrem Urlaub noch kurzerhand ein Testament und kaufte ein Doppelgrab. War es ein tragischer Unfall, Selbstmord oder Mord? Wieso fuhr Alexandras neuer Wagen ungebremst über die Kreuzung? Nach ihrem Tod wurde in ihre Wohnung eingebrochen und verschiedene Dinge verschwanden. Wieso gab es einen versuchten Einbruch in die Leichenhalle? Zudem kam vor einigen Jahren ans Tageslicht, dass ihr Verlobter Pierre Lafaire nicht nur Bigamist, sondern auch US-Geheimagent war. Diesen dubiosen und zum Teil rätselhaften Dingen geht Marc Boettcher in seiner Dokumentation auf dem Grund.



Viele Rätsel ranken sich um das kurze Leben der Sängerin Alexandra, die mit ihrer einzigartigen Stimme einen großen Platz im deutschen Musikgeschäft einnimmt. Wie wäre ihr Leben weitergegangen, was wäre aus ihr geworden? Würde man ihren Namen heute noch kennen, wenn sie nicht so früh verstorben wäre?
Alexandras Titel sind meist mit dunkler Melancholie und russischer Folklore verknüpft, das musikalische Erbe ihrer weniger als drei Jahre andauernden Karriere ist aber um einiges umfangreicher. Vor allem ihre selbst geschriebenen Titel zeigen, um was für eine talentierte, intellektuelle und feinfühlige Sängerin es sich bei ihr gehandelt haben muss. Das Lied "Was ist das Ziel?", im Original von Serge Lama, beweist (im Vergleich mit dem Original), was Alexandra für eine begnadete Interpretin war und wie sie es schafft, jedes Lied zu ihrem eigenen zu machen. Ihre Lieder klingen nie beliebig, sie hat etwas zu sagen. Und auch wenn das vorliegende Lied alles andere als lebensbejahend den Laufe des Jahres (im Speziellen den Herbst) zum Thema hat, merkt man doch, wie es - auch durch das ansteigende und immer gewaltiger werdende Arrangement - ihr ein Anliegen ist, ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Für mich ist und bleibt Alexandra immer erste Wahl - auch abseits trister Novembermonate ;)

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