Mittwoch, 17. Juni 2020

# 91 - "Lied über den Terroristen Karl-Heinz Pawla" - Elke & Alexander (1969)

Obskures und Skurriles steht im Untertitel meines Blogs (Schauriges habe ich heute ausnahmsweise ausgeklammert) und damit will ich keinesfalls geizen :P 

Der heutige Song thematisiert definitiv - in vielerlei Hinsicht - eine ziemliche Scheißsituation!




ELKE & ALEXANDER
Lied über den Terroristen Karl-Heinz Pawla (M: Peter-Alexander Kugler & Elke Nicolaisen-Gerstenberg / T: Volker von Törne)

erschien auf folgenden Tonträgern:

1969 EP "Nachrichten aus Berlin" (Wagenbachs Quartplatte 5, Verlag Klaus Wagenbach)
1969 LP "Steve Club Berlin" (Thorofon)
2006 CD "100 Jahre Kabarett - 1955-1970" (Bear Family Records)




Das Duo Elke & Alexander, alias Elke Nicolaisen-Gerstenberg (* 1944) und Peter-Alexander Kugler-Righetti (1944-1988), habe ich euch bereits vor längerer Zeit mit einem anderen Titel in Post #26 vorgestellt. Dort sind auch weitere biographische Informationen über die beiden zu finden.

"Sein Leben war voller Arbeit für eine bessere Welt, eine Welt ohne Krieg, in der Menschen in Frieden ihr Brot essen, ihren Wein trinken können. Brot und Wein: sie sind Törne-Symbole der Freundschaft, der Hoffnung und der Freude. Er war überzeugt, dass politische Konfrontationen heute nicht zu todbringenden Fronten führen müssen, sondern in lebensbewahrenden Verhandlungen ausgetragen werden können." (Planetlyrik.de, 2015)
Der Text des heute vorgestellten Liedes basiert auf einem Gedicht des Schriftstellers Volker von Törne (1934-1980). Von 1963 bis zu seinem Tod während einer Vortragsreise war er Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen.
Der Sohn eines SS-Standartenführers trug schwer daran, in der Zeit des Faschismus aufgewachsen zu sein und - obwohl schuldlos - fühlte er sich mit dieser Zeit der Verbrechen verstrickt. 
Nach der Schule studierte er zunächst Pädagogik in Braunschweig und nahm später das Kombistudium Politik/Wirtschaft/Arbeit in Wilhelmshaven auf. Ende der 50er-Jahre arbeitete er drei Jahre lang als Steinhauer sowie Hoch- und Tiefbauarbeiter.
Ab 1962 lebte er in Berlin, wo er zunächst als Redakteur und Mitarbeiter der Zeitschrift Alternative tätig war, ehe er 1963 Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen wurde. In dieser Funktion setzte er sich im Rahmen zahlreicher Vortragsreisen für Aussöhnung, Verständigung und Frieden einsetzte.
Er starb am 30. Dezember 1980 während einer Vortragsreise in Münster an einer Gehirnblutung.

Sein literarisches Werk besteht großteils aus engagierter Lyrik, nicht selten auch Sonetten, womit er eine große Kunstfertigkeit offenbart. Obwohl sich der Autor vom Literaturbetrieb weitgehend fernhielt, fand sein Werk sowohl in Deutschland als auch im Ausland großen Anklang.

Nun aber zu diesem besonderen Titel:

Hört die Schandtat von dem frechen
Karl-Heinz Pawla aus Berlin:
Dieser schwarze Sohn von Tschechen
Ohne Zucht und Disziplin,
Lange Haare, ungewaschen,
Und die Hände in den Taschen,
Trat er vor das Landgericht
Als ein schlimmer Bösewicht

Finster stand der Lichtesscheue
In Justizias heil'gem Haus
Ohne Demut, ohne Reue
Und zog sich die Schuhe aus
Alle Bürger war'n erschrocken
Als er dastand in den Socken
Und er grinste ins Gesicht
Den hohen Herr'n vom Landgericht

Schließlich trieb er's immer bunter
Ohne Zucht und ohne Scham
Er ließ seine Hosen runter
Weil ihm ein Bedürfnis kam
In Justizias heil'gen Hallen
Ließ er hinter sich was fallen
Mitten in das Landgericht
Sowas tut ein Deutscher nicht!

Das ging den Richtern an die Ehre
Ihre Würde war beschmutzt
Des Gesetzes ganze Schwere
Haben sie darob benutzt
Und den Strolch ins Loch geschmissen
Weil er auf's Gericht geschissen
Und so siegten Zucht und Pflicht
Vorm Berliner Landgericht

Die Moral von der Geschichte:
Kommt dich ein Bedürfnis an
Vorm Berliner Landgerichte
Lass nichts fallen, deutscher Mann!
Mach dich lieber in die Hose
Statt wie jener sittenlose
Terrorist und Bösewicht
zu scheißen auf das Landgericht!
Sowas tut ein Deutscher nicht
Deutscher Mann - sauberer Mann
Ein Deutscher tut das nicht!



Ja, das ist ja mal eine Scheißgeschichte - im wahrsten Sinn des Wortes ;) Und sie hat sich tatsächlich wirklich so zugetragen!

Nach kurzem Recherchen habe ich tatsächlich noch zwei authentische (und vermutlich seriöse) Berichte aus der Zeit des Geschehens gefunden:



"Karl-Heinz Pawla, 24. (West-)Berliner Kommunarde, muss wegen eigenwilliger Demonstration in einem Moabiter Gerichtssaal zehn Monate einsitzen. Vorletzten Mittwoch hatte der Student, der bereits einmal im Mai wegen Verdachts auf Diebstahl der Siegel der Freien Universität festgenommen worden war (linkes Bild) und gegen den nun ein Schöffengericht wegen Hausfriedensbruchs und Richterbeleidigung verhandelte, vor der Sitzung Abführpillen geschluckt, während der Verhandlung plötzlich seine Hosen heruntergelassen, seine Notdurft verrichtet, vom Richtertisch einige Akten gegriffen und sich damit gereinigt. Während das Gericht in einen anderen Saal umzog, um dort den Inkulpaten mit einer Ordnungsstrafe von drei Tagen zu belegen, photographierten Justizbeamte den Tatort und entfernten dann das Corpus delicti (rechtes Bild). Bereits zwei Tage später wurde der Kommunarde wegen öffentlicher Beleidigung des Gerichts zu zehn Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt - und zu drei Tagen Haft, weil er den Staatsanwalt während dessen Plädoyer mit einer Sandale bewarf." (Der Spiegel 38/1968, 16.09.1968)

"Der Berliner Kommunarde Karl Heinz Pawla, 24, der am 4. September als Angeklagter vor einem Berliner Schöffengericht seine Notdurft verrichtet und Gerichtsakten beschmutzt hatte, wurde zwei Tage später von einem anderen Schöffengericht zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, in der Urteilsbegründung des Amtsgerichtsrats Käppen hieß es:
Am 4. September 1968 fand gegen den Angeklagten (...) eine Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht Tiergarten unter dem Vorsitz des Amtsgerichtsrats Loch im Kriminalgericht Moabit in Berlin statt. Nach der Vernehmung der in dieser Sache geladenen Zeugen etwa um 10.25 Uhr sagte der Angeklagte, er möchte eine Erklärung abgegeben. Er begab sich daraufhin zu dem vor dem Richtertisch stehenden Zeugentisch, drehte sich mit dem Rücken zum Gericht, zog seine Hose herunter und kotete vor den Zeugentisch in den Gerichtssaal. Sodann drehte sich der Angeklagte um, ging zum Richtertisch, griff zu den auf diesem liegenden Gerichtsakten 272-103/68, riss aus diesen acht Seiten heraus und wischte sich damit das Gesäß ab, wodurch diese Aktenblätter mit Kot beschmutzt wurden. Er wollte dadurch dem Gericht, insbesondere dem Vorsitzenden Amtsgerichtsrat Loch, seine Missachtung kundgeben.
Der Angeklagte gibt die Tat zu und lässt sich wie folgt ein: Er habe die 'Scheiße' konkret machen wollen. Deshalb habe er Abführtabletten eingenommen, deren Wirkung er vorher ausprobiert habe. Er ärgerte sich nur, dass er das komische Barett auf dem Richtertisch nicht erwischt habe. Der Amtsgerichtspräsident als Dienstvorgesetzter hat gegen den Angeklagten wegen Beleidigung des Amtsgerichtsrats Loch Strafantrag gestellt.
Hiernach hat sich der Angeklagte der Beleidigung des Amtsgerichtsrats Loch gemäß § 185 StGB in Tateinheit mit einem Vergehen nach § 133 StGB schuldig gemacht. Durch das Koten vor dem Zeugentisch hat er symbolisch den Anspruch des Gerichts und insbesondere des Gerichtsvorsitzenden Loch auf angemessene, der Würde eines Gerichts entsprechende Behandlung verletzt und dadurch seine Missachtung bekundet (§ 185 StGB). (...) Der Angeklagte hat auch vorsätzlich gehandelt, da er die Tatumstände kannte und wollte. Beide Taten sind wegen ihres engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs als natürliche Handlungseinheit anzusehen. (...)
Strafschärfend fiel (...) ins Gewicht, dass der Angeklagte durch die Tat eine Missachtung gegenüber den Grundregeln jeglichen menschlichen Zusammenlebens und eine derart niedere Gesinnung gezeigt hat, die einem Menschen an sich nicht zuzutrauen ist.
Strafschärfend war ferner zu werten, dass es sich bei der Tat nicht um eine sogenannte 'Spontanreaktion' gegen die vorhandene Gesellschaftsordnung gehandelt hat.
Vielmehr hat der Angeklagte nach seinem eigenen Zugeständnis in der Hauptverhandlung die Tat durch Einnahme von Abführtabletten mit vorangegangener Probe zielstrebig vorbereitet. (...) Zur Sühne und Abschreckung (konnte) nur eine empfindlichere Freiheitsstrafe den Strafzweck erreichen. Eine Gefängnisstrafe von zehn Monaten erschien schuldangemessen."
(Der Spiegel 43/1968, 21.10.1968)


Wer jetzt auch Lust bekommen hat, "auf etwas zu scheißen", dem sei ans Herz gelegt, zuvor die juristischen Stellen im jeweiligen landesrechtlichen Kontext zu betrachten, ehe man Notdurftstelle gegen "Häfenatmosphäre" tauschen muss ... ;)

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