Montag, 27. April 2020

# 40 - "Ein Mann mit Brille" - Daffi Cramer (1977)

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein großer Freund des anspruchsvollen Chansons bin. So gebe ich dieser stark vernachlässigten musikalischen Gattung heute wieder Raum, sich zu entfalten. Musikalische Meisterwerke dieser Art werden seitens des Publikums einfach viel zu wenig gewürdigt. #sarcasmoff
Das heutige Lied widme ich all jenen, die genauso schaßaugat wie ich und in der Früh als erstes gefühlt Stunden damit beschäftigt sind, die notwendigen Errungenschaften aufzulesen, ehe die restliche Außenwelt - auch nur ansatzweise - Betrachtung finden kann.




DAFFI CRAMER
A: Ein Mann mit Brille (M: Christian Bruhn / T: Günther Behrle)
B: Ein schöner Tag mit einem jungen Mann (M: Claus Dittmar / T: Fritz Muschler)

1977, Ariola, 17 584 AT
produziert von Fritz Muschler


Wenn man Angelika Ramme heißt, in Gladbeck geboren wird und in Essen lebt, dann klingt das nicht unbedingt nach dem glamourösen Lebenslauf eines Stars.
Die um 1954 geborene Sängerin ist - gemäß ihrer ersten Plattenfirma - die Urururururur-Enkelin von keinem geringeren als Johann Sebastian Bach. Nun, die eigene Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen, dachte sich wohl auch J. S. Bach - der in den 70er-Jahren wohl Johnny River heißen hätte müssen, um Karriere zu machen ;). Die gute Angelika vergeudete ihr Talent allerdings nicht, um schnöde Bachkantaten zum Besten zu geben:

"Bei so viel erblicher Vorbelastung ist es kein Wunder, dass sie sich schon frühzeitig der Musik verschrieben hat. Bereits im Schulchor fiel ihre ausgeprägte Sopranstimme auf." (All jene, die einmal Mitglied eines Schulchores waren, wissen, dass die Stimmen, die einem am stärksten auffallen, nur in den seltensten Fällen die besten sind ... vor allem wenn sie aus der Sopranecke stammen!) "Sie lernte Flöte und Violine spielen und nahm am Stadttheater Gelsenkirchen Gesangs- und Tanzunterricht. Nebenbei sang sie in verschiedenen Bands, bis sie für den Plattenmarkt entdeckt wurde."

1972 wird der Sänger und Musikproduzent Dieter Lünstedt alias Tony Hendrik auf die junge Sängerin aufmerksam und nimmt sie unter seine Fittiche. Als Sänger hatte er selbst bereits kleinere Erfolge für sich verbuchen können. Großen Erfolg hat er etwas später durch die Entdeckung von Phil & John und Dennie Christian.
Nachdem der Name Angelika Ramme nicht genug Starpotential weckt, wird ein Künstlername kreiert: Und zwar Daffi von Cramer. Wem auch immer diese Kreation eingefallen ist, Chapeau! In dieser Zeit landete auch die blutjunge Juliane Werding mit dem Titel "Am Tag als Conny Kramer starb" einen Riesenhit. Der besungene Junge starb übrigens einen dramatischen Tod aufgrund einer Überdosis.

"Am Tag als Daffi von Cramer sang", könnte man vermelden und ihre erste Schallplatte wurde 1972 produziert: Eine (neue) deutsche Coverversion des Little-Eva-Hits "Locomotion".
Da man mit Adelstiteln in den deutschen Charts wenig Erfolg hatte, wurde das "von" für die dritte Single erfolgreich gestrichen. Bis 1980 kamen 11 Singles auf den Markt. Vier Produzenten versuchten mit ihr einen Hit zu landen - mit bescheidenem Erfolg. Ihr erfolgreichster Titel war "Charly, lass dir einen Bart steh'n" (1976) - "Damit wird Daffi sicherlich auch die Bärtigen unter ihren Fans begeistern"
Es folgten Titel wie "Pack' die Koffer ein", "Peter, dein Zug geht morgen früh", "Fang' dir den Regenbogen", "Du bist eine Sünde Wert", "Peter ist der Größte" und "Fische wollen schwimmen".
Ab 1980 wurde sie die neue Duettpartnerin von Henry Valentino ("Im Wagen vor mir") und tritt bis heute noch gelegentlich - gemeinsam mit ihm - im Fernsehen auf.

"Wie wohl Daffis berühmter Vorfahr auf ihre musikalischen Ambitionen reagieren würde? Nun, er würde applaudieren, davon ist Daffi jedenfalls überzeugt.", bekundete ihre Plattenfirma 1974.

Ich kann nicht anders, aber wenn ich "Daffi" höre, muss ich unvermeidlich an "Daffy Duck" denken. Und der ist mir - trotz seines Gequietsches - ein bisschen sympathischer ;)


Textautor Günther Behrle war übrigens bis zum vorliegenden Titel u. a. für folgende "interessante" Titel verantwortlich: "Schnee in der Sahara" (Teddy Parker, 1971), "Ich hab in Essen in mein Herz vergessen" (Kirsti, 1971), "Ein Mann wie Jason King" (Claudia Costa, 1973), "Und wenn die Sonne scheint, denkt keiner an den Regen" (Ireen Sheer, 1973), "Du hast Talent zum Happy-End" (Ray Miller, 1973), "Heute hat die Liebe Geburtstag" (Peter Sanders ,1974), "Reden ist Silber, küssen ist Gold" (Wencke Myhre, 1974), "Sweet Beat Honey Sunny Boy" (Maggie Mae, 1975), "Hei Hei Hei mein Herz ist nicht mehr frei" (Ric Gerty, 1975) oder "Ich möcht' der Knopf an deiner Bluse sein" (Bata Illic, 1976).

Nun aber zum Mann mit Brille:


Meine Freundin rief an
Denn sie traf einen Mann
Der hat Geld und zwei Autos
Und 'ne Villa in Cannes

Doch ich lachte sie aus
Sowas regt mich nicht auf
Ich brauch' keine Millionen
Ich sag' nur zu meinem Klaus

Ein Mann mit Brille
Das ist das Höchste der Gefühle
Mit etwas Glück und Glas
Macht mir die Liebe Spaß

Dem Mann mit Brille
Schau' ich so gern in die Pupille
Ja darauf stehe ich
Und darum lieb' ich dich

Letzten Sonntag um drei
Kam sie bei mir vorbei
So zu Kaffee und Kuchen
Und auch mein Klaus war dabei

Er hat Witz und Humor
Und es kommt mir so vor
Sie kann endlich verstehen
Das beim ersten Mal ich schwor

Refrain

Was and're haben, ist mir völlig gleich
Denn deine Brille ist mein Himmelreich


Refrain

Doch wenn ich ihn ganz nah bei mir hab'
Nimmt er die Brille ab


Ja, ich bin wirklich hart im Nehmen, aber so einen blöden Text hab ich echt schon lang nicht mehr gehlört. Da nützt es auch nichts, wenn sich die gute Daffi - frisch geföhnt - in einem sexy Norwegerpullover auf der kack... cognac-farbigen Ledercouch rekelt und dabei kess Autogramme schreibt.
Also das Reimschema ist billig zum Quadrat und strotzt nur so vor Vorurteilen und Klischees. Teilweise wird versucht mit purer Gewalt Reimpaare zu finden (aus-Klaus, Glas-Spaß, ich-dich, drei-vorbei-dabei), bei Brille-Gefühle und Brille-Pupille bekomme ich allerdings heftigste Anfälle und meine Zehennägel beginnen sich bereits einzurollen.

Und der Refrain ist so unfassbar schlecht, dass mir dafür wirklich jegliche Worte fehlen. Sorry!

Ein Mann mit Brille
Das ist das Höchste der Gefühle
Mit etwas Glück und Glas
Macht mir die Liebe Spaß

Dem Mann mit Brille
Schau' ich so gern in die Pupille
Ja darauf stehe ich
Und darum lieb' ich dich


Die Antwort von Klaus könnte höchstens folgendermaßen lauten:

"Wenn sie bei mir is',
Gafft sie nur stumm in meine Iris
Wenn sie mich so blöd anschaut
Reizt das nur meine Netzhaut"

Gut, dass der Textautor noch einmal die Kurve bekommen hat. Ich habe den armen Klaus bereits - völlig unvorbereitet - trotz "Witz und Humor" (vor meinem geistigen Aute) an einem Tumor verenden sehen ...

Wir fassen also zusammen: Geld, Autos und eine Villa in Cannes sind unwichtig, sobald der Mann eine Brille hat. Simple Story.

Und besonders schön, sind noch die "Abschlussbemerkungen":

Was and're haben, ist mir völlig gleich
Denn deine Brille ist mein Himmelreich

Doch wenn ich ihn ganz nah bei mir hab'
Nimmt er die Brille ab

Da ist ihm die gute Daffi wohl einmal zu nah ins Antlitz gedonnert! Aber Scherben bringen ja bekanntlich Glück. Ob Kontaktlinsen einen Trennungsgrund liefern würden?
Mich wundert es sehr, dass kein Optiker diesen Ohrenschmaus als Werbung verbraten hat. Aber gut, das wäre vermutlich ein zu großes "Himmelreich" geworden ... Ob Daffi wohl geil wurde, wenn Klaus' Pupillen nach der Augenuntersuchung so richtig groß waren? Und was hätte Johann Sebastian Bach dazu gesagt. Fragen über Fragen!




Für dieses optikerfreundliche Machwerk vergebe ich fünf Brillenputztücher, damit sich die gute Daffi beim nächsten Blick nicht so anstrengen muss ;)

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