Donnerstag, 14. Mai 2020

# 57 - "Fühl' mich" - Stephanie Lindbergh (1977)

All jene, die den Beitrag "Männerwelten" von Joko und Klaas nicht gesehen haben, empfehle ich, dies hier nachzuholen. In solchen Situationen schämt man sich wirklich ein Mann zu sein. Es ist mir ein absolutes Rätsel, weshalb sich gerade die primitivsten aller Umgangsformen bis in die Neuzeit durchgesetzt haben und man fragt sich, ob sich Männer auch heute noch gerne ihr Hemd zerreißen und - nach erfolgreichem Beutezug - gorilla-haft die Fäuste auf ihre Brust schlagen würden, während sie feierlich Brunftgeräusche von sich geben.
Leider werden Frauen - nicht nur die, die in der Öffentlichkeit stehen - häufig nur noch als Lustobjekt angesehen und auf ihren "sexuellen Marktwert" reduziert (aus diesem Grund gibt es heute noch etwas später einen zweiten Eintrag)!




STEPHANIE LINDBERGH
A: Fühl' mich [Feel me - Baccara] (M: Rolf Soja / dt. T: Peter Zentner)
B: Komm zu mir (M: Rolf Soja / T: Peter Zentner)

1977, RCA, PB 5550
produziert von Rolf Soja

Peter Zentner arbeitete - meist gemeinsam mit Rolf Soja - vor allem für Baccara, Lesley Hamilton sowie Waterloo & Robinson. Später auch für Vicky Leandros, Gitte, Peter Maffay, Matthias Reim und die Klostertaler.

Stephanie Lindbergh wurde 1952 in der Schweiz geboren und arbeitete zunächst als Kellnerin, ehe sie 1971 entdeckt wurde. Jahre später - nachdem sie Gesangs-, Ballett- und Gitarrenunterricht genommen hatte - wurde der spätere Baccara-Produzent auf die Sängerin mit der schönen Alt-Stimme aufmerksam und baute sie zunächst als "Nachfolgerin" der 1969 tödlich verunglückten Alexandra auf. Nicht nur, dass sie tatsächlich von Alexandra geschriebene, aber unveröffentlicht gebliebene, Titel sang ("Das Märchen einer Frühlingsnacht", "Nur einen Sommer lang" und "Kinderjahre"), war auch Fred Weyrich, der auch Alexandra produzierte und für sie schrieb, an dieser Produktion beteiligt. Man könnte also annehmen, dass ursprünglich für Alexandra geplante Titel mit Stephanie Lindbergh - der man übrigens auch den markanten Pagenkopf verpasste - umgesetzt wurden.
Dennoch war es ihr stets unangenehm, dieses Image auferlegt bekommen zu haben und die Versuche, sie als deutsche Disco-Sängerin (mit deutschen Baccara-Titeln) zu promoten, scheiterten - sie war bereits in ihrer Schublade gefangen.

Nach sieben Singles und zwei Alben zog sie sich 1981 ins Privatleben zurück. 1998 startete sie ein kurzes Comeback als Teilnehmerin des Schweizer Vorentscheids zum Grand Prix der Volksmusik. Heute hat sie als Therapeutin im Bereich autogenes Training und Hypnosetherapie ihre Berufung gefunden.

Wenn du mit mir sprichst, dann sitz' ich staunend neben dir
Du weißt vieles, doch du weißt nichts von den Mädchen
Spiel' nicht nur mit Worten, sondern spiel' auch mal mit mir
Und ich zeig' dir, was ich will, wenn ich dir sag'

Fühl' mich - Wie ein Kleid aus Samt und Seide
Fühl' mich - sanft auf deiner Haut
Fühl' mich - Wie den ersten Sonnenstrahl
Komm fühl' mich - warm auf deiner Haut
Fühl' mich - Wie die Brandung aller Meere
Fühl' mich, fühl' mich wie ich bin in dieser Nacht

Frag' mich nicht mit Worten, frag' mich zart mit deiner Hand
Ob ich vorhab', diese Nacht mit dir zu teilen
Denn ein Mädchen denkt so oft ganz anders als ein Mann
Wenn Gefühle stärker sind als der Verstand

Refrain






Heute wirkt der Text ein wenig naiv, aber in den 70er-Jahren war es nichts Alltägliches, das eine Frau so offen von ihren "Bedürfnissen" sprach. Und ist es schlüpfrig zu sagen, "Fühl' mich wie ein Kleid aus Samt und Seide"? Darf das eine erwachsene Frau? Ohne dass es als direkte "Einladung" zu körperlichen Übergriffen verstanden wird? Natürlich darf sie - auch wenn es fraglich ist, ob sie selbst das so ausdrücken wollte. Immerhin ist der Text ja aus der Feder eines Mannes und gerade die erste Strophe gibt zum Ausdruck, dass die Beziehung nicht unbedingt auf Augenhöhe geführt wird ...
Es würde mich nur interessieren, ob eine deutschsprachige Sängerin so ein Lied heute auch noch öffentlich singen könnte, ohne unangenehme sexuelle "Einladungen" (oder anderweitig abfällige Bemerkungen) zu erhalten. Da würde vermutlich auch die "korrekte" hochgeschlossene Garderobe nichts ändern :( 

An diesem Punkt denke ich an eine Stelle aus George Bernard Shaw's "Pygmalion", als es zum Streit zwischen Eliza Doolittle und Professor Higgins kommt. "Ich habe Blumen verkauft - nicht mich". Und genau das ist der Punkt, den viele Männer einfach nicht unterscheiden können. Leider!

Daher vergebe ich heute fünf Minuten, um darüber nachzudenken.

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